Skin Game 02 - Verhängnisvoller Verrat
bringen. Obwohl sie das schon viele Male getan hatte, empfand sie noch dasselbe Gefühl der Ungerechtigkeit. Silas schwieg. Er war ein stumpfsinniger Riese, der tat, was ihm gesagt wurde.
Anfangs hatte sie gehofft, er wäre derjenige, der sie einmal rettete. Er würde Mitleid mit ihr bekommen und einen Weg finden, sie herauszuschmuggeln. Doch mit den Jahren war sie zu dem Schluss gekommen, dass Rowan etwas getan haben musste, damit Silas so schweigsam und loyal blieb.
Jetzt öffnete er die Labortür und sagte: »Sie warten auf dich.«
Natürlich.
»Danke«, sagte sie mit leisem Sarkasmus.
Ob Silas den bemerkte, ließ er sich nicht anmerken. Er drehte sich bloß um und ging. Ihr zitterten die Hände, als sie den strahlend weißen Raum betrat. Die Lampen schienen grell, und alles wirkte steril und glänzend, mit Ausnahme des Betts hinter dem blauen Vorhang.
Der sollte die Privatsphäre des Patienten schützen. Gillie sah nie das Gesicht der Kranken, denen sie das Leben rettete. Rowan behauptete, das diene Gillies Schutz, aber sie war nicht so dumm, es zu glauben. In Wirklichkeit sollte es verhindern, dass sie, falls sie doch einmal aus dem Versuchslabor entkäme, die Patienten wiedererkannte. Dr. Rowan glaubte natürlich, es werde nie so weit kommen – darum gestattete er ihr auch, in diesem halb privaten Apartment zu wohnen –, doch er war aus Prinzip vorsichtig.
Sein Angebot, ihr diese Videoaufnahmen zu zeigen, hatte sie überrascht. Aber die Gesichter der ehemaligen Patienten waren sicherlich unkenntlich gemacht worden. Das Angebot diente nur als Beruhigungspille, damit sie ihre Isolation hinnahm, mehr nicht. Und sie musste so tun, als würde es ihr etwas bedeuten – als ob irgendeine freundliche Geste wettmachen könnte, was man ihr antat. Manchmal war es schwer, nicht durchzudrehen wie viele andere ihrer Leidensgenossen. Manchmal konnte sie den Zorn kaum noch zurückhalten.
»Ah, Gillie.« Rowan drehte sich lächelnd zu ihr um. »Du kommst genau im rechten Moment. Wir haben heute einen recht schwierigen Fall: inoperabler Bauchspeicheldrüsenkrebs.«
Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter. Wenn er mich nur nicht anfasst.
Sie wich seiner ausgestreckten Hand aus, als hätte sie sie nicht bemerkt, setzte sich von allein auf das Krankenhausbett, schwang die Beine hoch und legte sich auf den Rücken. Dann hielt sie ihm den Arm hin. Klinischer Kontakt ließ sich nicht vermeiden, aber er sollte weder ihre Hand tätscheln noch mit den Fingerspitzen darüberstreichen. Als ob ihr seine Liebkosung gefallen würde! Er war ihr absolut zuwider.
»Ich kann das erledigen«, sagte sie leise.
Das war keine Arroganz, sondern die Wahrheit.
Rowan nickte. »Ich weiß. Darum bist du so kostbar.«
Ihr wurde übel. Um das Gefühl zu unterdrücken, schloss sie die Augen. Manche Leute kamen sich mit geschlossenen Augen schutzlos vor, doch sie konnte mittlerweile mühelos in Fantasiewelten abdriften. Im Nu war sie ganz woanders.
»Bist du müde?«
Nicht einmal diese Flucht gönnte er ihr. »Nein, es geht mir gut. Sollen wir anfangen?«
Zur Antwort stach er ihr die Butterfly-Kanüle in den Unterarm. Gillie wusste, dass er die benutzte, weil sie kleiner aussah. Aber wie alle seine Freundlichkeiten war auch diese eine Täuschung – es handelte sich trotzdem um eine Einundzwanziger-Kanüle und sie tat genauso weh wie die anderen. Ihre Armbeuge ähnelte der eines Junkies, so oft hatte er sie schon gestochen.
Routiniert steckte er den Schlauch auf die Kanüle und begab sich hinter den Vorhang, um sie mit dem sterbenden Patienten im Nachbarbett zu verbinden. Der würde einen halben Liter von ihr bekommen. Die Blutgruppe spielte dabei keine Rolle.
Ihr Blut war quasi flüssiges Gold, ein Allheilmittel, niemals würde man sie gehen lassen. Jetzt zog es die kranken Zellen im Körper des Patienten an. Wenn der Krebs gestreut hatte, würde ihr Blut die Metastasen zu einer Masse vereinen. Das war der mühelose Teil des Vorgangs. Sie lag da und tat so, als ob nichts passierte.
»Bist du bereit für den nächsten Schritt?«, fragte Rowan.
Als ob sie Nein sagen könnte! Gillie streckte ihre Hand aus. Die war klein und blass und sah überhaupt nicht so aus, als könnte sie Wunder wirken. Rowan zog ihr Bett näher heran, wobei er darauf achtete, die Schläuche nicht zu verdrehen.
Er legte ihre Hand auf den Patienten. An der papiernen Haut erkannte sie, dass es ein alter Mensch war, jemand mit mehr Geld als Zeit. Dieser Teil des
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