Skin Game: Gefährliche Berührung (German Edition)
interessanter Typ, voller Widersprüche. Wie die meisten seines Fachs arbeitete er unter einem Decknamen, aber Foster hätte ihn nicht genommen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, den wahren Hintergrund des Mannes herauszufinden, einschließlich seines echten Namens. Sie hatten zu Anfang E-Mail-Adressen ausgetauscht, es waren kostenlose, anonyme Accounts, von denen aus Nachrichten an Reyes zweifellos woandershin weitergeleitet wurden. Inzwischen dürfte Serrano die Akte lesen und sich gratulieren, weil ein Top-Mann mit der Lösung seines Problems beauftragt war.
Es war kurz vor zwei Uhr Nachmittag, das hieß, Foster hatte keine fünf Stunden geschlafen. Da Donnerstag war, ließ sich daran nichts ändern. Er würde es morgen wettmachen. Foster parkte seinen Wagen und beugte sich vor, um eine Flasche Rasierwasser aus dem Handschuhfach zu nehmen. Nachdem er etwas davon aufgetragen hatte, stieg er aus und ging mit großen Schritten den Bürgersteig hinunter.
Kurz darauf gelangte er an die verspiegelte Eingangstür eines weißen, ultramodernen Gebäudes. Drinnen war es kühl und still, getöntes Glas schützte vor der Wüstensonne. Die diensthabende Schwester hob energisch den Kopf, entspannte sich dann aber und schenkte ihm ein warmes Lächeln. Sie war Mitte dreißig und zeigte eine Spur Interesse an ihm. Er hätte sie nur zu ermutigen brauchen.
Doch das wollte er nicht.
»Ich trage Sie ein«, sagte sie. »Ihre Mutter erwartet Sie schon.«
Er nickte und ging den hellen Flur entlang. Hier waren die Bodenfliesen nicht hellgrün und abgenutzt. Es handelte sich um eine teure Pflegeeinrichtung, in der Menschen die beste Betreuung erhielten, die für Geld zu haben war. Zu schade, dass man nicht auch Hoffnung oder Trost kaufen konnte.
Foster blieb kurz stehen und schaute in das vor ihm liegende Zimmer. Die alte Frau saß am Fenster, ihm zu Ehren in ihrem besten Hauskleid. Ihre schneeweißen Haare waren frisiert und ihre dünnen Lippen geschminkt. Die Schale an ihrem Bett, in der sonst ihr Gebiss lag, war leer; sie hatte es heute im Mund.
Beulah Mae Finney war siebenundachtzig Jahre alt, und sie war nicht seine Mutter. Sie glaubte, sie wäre es, doch ihr Sohn befand sich seit fünf Jahren in Haft und war schon in den vier Jahren davor nie bei ihr gewesen. Foster hatte mit den Besuchen angefangen, um seine Fähigkeit, Stimmen nachzuahmen, auszuprobieren. Wenn er eine Mutter täuschen könnte, hatte er gedacht, würde ihm das bei jedem gelingen. Da sie an grauem Star litt, eignete sie sich perfekt für seine Zwecke.
Er hatte das staatlich geführte Höllenloch aufgesucht, in dem sie von ihrem leiblichen Sohn abgeladen worden war, sich angemeldet und ausprobiert, ob er die Gossensprache hinbekam, die der gute James L. Finney bevorzugte. Er wusste, dass Jimmy Lee nicht kommen und ihn auffliegen lassen würde, denn dieser saß in Mississippi ein, weil er mit einer Minderjährigen herumgemacht hatte.
Foster hatte Beulah Mae einige Monate lang immer wieder besucht und sie war ihm ans Herz gewachsen. Er hatte es schließlich nicht über sich gebracht, sie in dem schäbigen Heim allein vor sich hinsiechen zu lassen, in dem es nach Urin und Verfall stank, und es war erstaunlich einfach gewesen, für die Verlegung der Mutter eines anderen zu sorgen. Vermutlich rissen sich die Leute nicht darum, für die Pflege von gebrechlichen Senioren aufzukommen, mit denen sie gar nicht verwandt waren. Darum gab es wohl auch keine Vorschriften zu beachten.
Foster trat auf die Frau zu. Er wusste auf den Zentimeter genau, aus welcher Entfernung sie das billige Rasierwasser riechen würde, das Jimmy Lee immer benutzt hatte. Ein Lächeln trat auf ihr runzliges Gesicht, etwas verschmierter Lippenstift war auf den Porzellanzähnen zu sehen. Die hatte Foster ihr ebenfalls gekauft.
»Jimmy Lee!«, rief sie aus. »Pünktlich wie immer. Ich kann glatt die Uhr danach stellen. Habe ich dir schon gesagt, wie stolz ich bin, dass du dich so gemacht hast?«
»Bei jedem Besuch, Ma«, antwortete er mit tiefer, rauer Stimme.
Sie lachte. »Nun gut. Komm her und gib mir einen Kuss.«
Foster erfüllte ihr den Wunsch und hauchte der alten Dame ein Küsschen auf die Wange. Dann setzte er sich ihr gegenüber und ließ sich erzählen, wer beim Kartenspielen mogelte, wer sich nachts in wessen Zimmer schlich und wer vermutlich den nächsten Monat nicht mehr erleben würde. Das Alter musste deprimierend sein, dachte er nicht zum ersten Mal. Gut, dass ich
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