Skin Game: Gefährliche Berührung (German Edition)
höchstwahrscheinlich nicht so lange leben werde.
Er verbrachte die erforderliche Stunde mit ihr und beendete den Besuch pünktlich. Sie wollte einen Kuss zum Abschied, doch einer Umarmung wich er aus. Dabei wäre aufgefallen, dass er größer und schlanker war als ihr Sprössling. Foster wollte nicht, dass sie die Täuschung bemerkte, denn er hätte Beulah Mae vermisst.
Mit einem leisen »Bis nächste Woche, Ma« verließ er ihr Zimmer.
Zeit für den zweiten Teil seiner wöchentlichen Pilgerfahrt. Er begab sich in einen anderen Flügel des Gebäudes, in dem Langzeitpatienten ohne Hoffnung auf Genesung untergebracht waren. Natürlich wurden sie in der Einrichtung nicht so bezeichnet, doch es handelte sich um Menschen, die nicht mehr aus dem Koma erwachen würden. Sie würden sich nicht irgendwann ihre Schläuche abreißen und den Flur entlanghüpfen, sondern in die Welten eingesperrt bleiben, die ihre Gehirne vielleicht noch für sie erzeugten.
Auch hier kannte ihn die Schwester, aber nicht bei dem Namen, den er bei seiner Geburt erhalten hatte. Allerdings war er tatsächlich mit dem Mädchen verwandt, das weiß wie Schnee auf dem Kissen lag. Er hatte es logisch gefunden, Beulah Mae in derselben Einrichtung unterzubringen, in der man sich auch so gut um seine Kleine kümmerte. Sie besaß seine hellblonden Haare und seine blauen Augen. Damit wirkte sie in ihrem unnatürlichen Schlaf zerbrechlich wie Glas.
Infolge der körperlichen Schwäche hatte sie ihren Babyspeck verloren. Sie war klein für ihr Alter. Obwohl sie inzwischen eine junge Frau hätte sein sollen, war die Zeit an ihr vorübergegangen. Spindeldürr lag sie da und wurde künstlich ernährt. Die Schwestern schnitten ihr die Fingernägel und die Haare, wuschen sie und zogen ihr weiße Hemden an, während der Herzmonitor den Puls überwachte.
Foster schloss die Tür und lehnte einen Augenblick lang die Stirn an das kühle Holz. Es tat jedes Mal ein bisschen mehr weh, trotzdem kam er Woche für Woche wieder her. Offenbar repräsentierte er eine schöne neue Welt von Masochisten, die ihre Wunden gern so tief in sich trugen, dass keiner sie bluten sehen konnte. Es überstieg fast seine Kräfte, sich aufzurichten und die Schultern zu straffen – falls es ihr gegenüber überhaupt von Bedeutung war, seine Schwäche zu verbergen.
Seit sechs Jahren hatte sie nichts mehr gesehen.
Das Zimmer war von ihm mit Zeichnungen von ihr dekoriert worden: Kinder auf Skateboards, einen Teddy, den sie im Kunstunterricht gemalt hatte. Er zahlte genug Geld, sodass das Personal sich nicht darüber beschwerte. Bedächtig setzte er sich auf den Stuhl neben ihrem Bett.
»Hallo, Lexie.« Wie immer wartete er fünfzehn Sekunden lang, um ihr Gelegenheit zum Antworten zu geben. Es war ein albernes Ritual, aber er konnte es nicht sein lassen.
Blass und still lag sie da. Keine noch so große Anzahl von Küssen konnte sie wecken. Damit hatte er es als Erstes probiert, dann mit verzweifelten Umarmungen, dann mit Tränen. Wie die Schneekönigin ließ sie sich nicht rühren. Sie konnte nur schlafen und träumen.
So erzählte er in die trostlose Stille hinein von Gerard Serrano und seinen geheimen Plänen. Die medizinischen Gerätschaften, die sie am Leben hielten, bildeten die Begleitgeräusche. Manchmal fühlte er sich in diesem Zimmer einsamer als irgendwo sonst auf der Welt. Es gab niemanden mehr, der wusste, wer er einmal gewesen war.
Die Trauer darüber trieb ihn an. Als es draußen dämmerte, stand er auf, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die kühle Stirn.
»Bis nächste Woche, min skat .«
Früher hätte sie ihn umarmt. Sie hätte mit ihm gerangelt, Saft auf sein frisch gebügeltes Hemd gekleckert, darüber gekichert wie eine Hyäne und bei seiner Heimkehr von der Arbeit einen Becher Eis verlangt. So vieles hatte sich geändert – so vieles hatte er geliebt und verloren, alles wegen der Gier eines Mannes.
Wahrscheinlich sollte er die Formulare unterschreiben und sie gehen lassen. In den sechs Tagen, die immer zwischen den Besuchen lagen, betrachtete er das Problem von allen Seiten. Logisch gesehen wäre es die weiseste Entscheidung. Das wusste er. Dennoch brachte er es nicht fertig, zum Direktor zu gehen und um die Formulare zu bitten. Irgendwie hoffte er immer noch auf ein Wunder, obwohl er nicht an so etwas glaubte. Nicht, wenn es um ihn selbst ging. Aber vielleicht hätte Gott, falls es ihn gab, für Lexie ein bisschen Gnade übrig.
Andererseits war
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