Skinwalker 01. Feindesland
»Ich finde, dass Tro– Tom alle anliegenden Entscheidungen treffen sollte, bis Katie zurück ist .« Ich sah den Troll an. »Hat Katie irgendwo schriftlich verfügt, wer die Geschäfte führt, wenn sie « – in einem Sarg mit Blut badet – »indisponiert ist ?«
Leo hob den Kopf. »Ich bin Katies Meister. Es versteht sich von selbst, dass ich sie vertrete, solange sie sich unwohl fühlt .«
»Vielleicht im Mittelalter, aber nicht hier in den Vereinigten Staaten und nicht heutzutage .« So viel zu meinem Vorsatz, mich nicht einzumischen. »Tom? Wo bewahrt Katie ihre Unterlagen auf ?«
Er kam vollends herein, wobei er Abstand zu Leo hielt, und kniete sich vor Katies Schreibtisch. Mit einem kleinen Schlüssel öffnete er einen Aktenschrank, der geschickt versteckt an der Wand im Dunklen stand. Papier raschelte. Die Stille war geladen mit etwas Flüchtigem, Explosivem. Indigo verschwand. Kluges Mädchen. Jedenfalls klüger als ich. Ich blieb, um zu sehen, was mit dem Hornissennest passierte, in das ich gerade trat. Einen Moment später zog der Troll eine Fächermappe heraus und stand dann unschlüssig hinter dem Schreibtisch, die Mappe in den Händen. Okay, wohl eher zu Tode verängstigt. Ich roch seine Angst.
Ich stand von dem Platz auf, auf den Leo mich gesetzt hatte, was mich auf einmal viel mehr ärgerte als eben noch, nahm die Mappe und legte sie mitten auf den Tisch. Ich öffnete sie. »Welches Fach ist es ?« , fragte ich. Der Troll griff um mich herum und tippte auf einen Reiter ungefähr in der Mitte. Ich konnte nicht verstehen, was darauf stand, vielleicht war es Französisch. Ich zog die Papiere heraus und überflog die ersten fünf Seiten mit juristischem Kauderwelsch, ohne zu verstehen, was ich las, obwohl es Englisch war. Doch ich nutzte die Zeit, um nachzudenken. Leo war alt. Sehr alt. Vielleicht hatte er sogar schon die Feudalzeit erlebt. Als Ehre noch etwas bedeutete. Ich hielt ihm die Seiten hin. »Was will sie ?«
Ich glaubte zu hören, wie der Troll ein Lachen unterdrückte, aber es konnte auch ein Husten gewesen sein. Wenn Leo ein Ehrenmann war, würde er die Dokumente lesen und die Anweisungen darin befolgen. Wenn nicht, war er kein Ehrenmann. Natürlich konnte die Tatsache, dass er gar kein Mann war, die Sache verkomplizieren.
Leo wurde still wie eine Marmorstatue. Er atmete nicht, er blinzelte nicht, er zeigte keinerlei Regung. Es war ein unheimlicher und beunruhigender Anblick, dem vermutlich gewöhnlich Ärger der sehr unschönen und blutigen Sorte folgte, aber ich wusste immer noch nicht sehr viel über zivilisierte Vampire, und ich hatte drei Pflöcke in meinem Knoten und eine hübsche Auswahl von Kreuzen dabei. Leo rührte sich noch immer nicht. Die Stille war jetzt nicht mehr beunruhigend, sondern unnatürlich, dann wurde sie unheimlich, dann gruselig und schließlich Furcht einflößend. Seine Pheromone kündeten von reinster Wut. Hinter mir hörte ich die unregelmäßigen Atemzüge des Trolls; sein Herz schlug zu schnell. Die chemische Zusammensetzung seines Schweißes war bitter; Beast erkannte den Geruch: Todesangst. Endlich sog Leo scharf die Luft ein. Fast wäre ich zusammengezuckt. Beast bog die Krallen. Der Troll stellte das Atmen endgültig ein.
Wie ein Raubtier glitt Leo durch den Raum. Seine Augen waren schwarz vor unterdrückter Wut. Er nahm die Dokumente und las. Blätterte durch die Seiten. Las wieder. Hob den Blick und sah von mir zu Tom und wieder zu mir. »Katie hat Tom die Vollmacht für ihre gesamten Geschäfte übertragen .«
Er betonte die Worte so präzise und sprach in so neutralem, emotionslosen Ton, dass es sich auch um eine Computerstimme hätte handeln können – abgesehen von dem europäischen Akzent, bei dem Filmsternchen dahingeschmolzen wären.
»Für alle ihre Konten, Immobilien und ihre gesamten Vermögenswerte einschließlich dieses Hauses und der Angestellten. Alle geschäftlichen Schecks, auch die Lohnschecks, müssen von ihm unterzeichnet und von mir gegengezeichnet werden. Sonst sind sie nicht gültig .« Er sah Tom an. »Wussten Sie davon ?« Tom nickte, kurz und ruckartig. »Und trotzdem haben Sie mich nicht darüber informiert. Warum ?«
»Ich … ich … «
»Er brauchte Sie « , bemerkte ich. »Damit Sie die Mädchen vor dem Rogue schützten, damit Sie Katie halfen und damit Sie vor dem Vampirrat für sie eintraten. Und er war dankbar, dass Sie die Zeremonie initiiert und sie beerdigt haben .«
Tom schluckte hörbar unter Leos
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