Skinwalker 01. Feindesland
den Schmerz konnte ich im Moment nichts tun, aber sauber zu sein – nun ja, etwas sauberer – half mir trotzdem auf eine Art, die ich nicht hätte erklären können. Die Kleider fühlten sich auf der Haut kühl an und rochen leicht fischig. Beast war hungrig und teilte mir mit, dass sie gegen Fisch zum Abendessen nichts einzuwenden hätte. »Später « , murmelte ich, warf einen kurzen Blick hinüber zum Haus und tauchte den Kopf des Mädchens in den Teich. Getrocknetes und frisches Blut und Vampfetzen schwammen auf der Oberfläche. Angezogen von dem Geruch oder vielleicht auch von der Bewegung, kamen die Koi herangeschwommen – gold, pink, schwarz und weiß, getupft oder getigert wie das Fell einer Katze – und sahen mir zu. Einer knabberte an einem Stückchen Vampfleisch und spuckte es mit einem kleinen Wasserstrudel wieder aus. »Kluges Fischlein « , murmelte ich. Hoffentlich war Vampblut nicht giftig für überdimensionale Goldfische.
AlsderKopfsosauberwar,wieesohneBleicheundBürsteging,drehteichihnimWasserhinundherundbetrachteteihn.DasMädchenhatteeinefüreinGettokindhelleHautgehabt,einenzartenKnochenbauundsanftgelocktesHaar.IhregrauenAugen,indenenimmernochdieVerblüffungvomAugenblickdesTodesstand,starrtenmichausdemWasseran.IchgriffzwischenihreLippenundzogdieFangzähneinihremOberkieferheraus.VampzähnewareneinklappbarwiedieZähneeinerViperundwuchsenhinterdenmenschlichenZähnen.Ichließlos.Jetzt,dasietotwar,klapptensielangsamerein,alswärendiekleinenGelenkeeingefroren.RigormortisaufVampart?WährendichdenKopfimWasserbetrachtete,wurdedieOberfläche,aufdersichdasLichtderAußenleuchtenspiegelte,ganzstill.AufeinmalsahichmeinGesichtnebenihrem.HoheWangenknochen,wirreZöpfe,diemirüberdieSchulterfielen.GelbeAugennebenihrengrauen.
Ich kannte ihren Namen nicht, wusste nur, dass sie Jeromes Schwester war. Und dass sie zwölf gewesen war. Ich hatte eine zwölfjährige Killerin umgebracht. War es damit in Ordnung? Oder war es schlimmer, als einen erwachsenen Killer zu töten?
Wenn ich gewartet hätte, hätte Leo sie einfangen können, um sie in seinem Keller anzuketten oder in irgendeinem anderen Keller in New Orleans, bis sie lernte, sich und ihren Appetit zu kontrollieren? Wenn ich nicht hinter das verlassene Haus gegangen wäre, hätte sie sich dann versteckt, als ihr Erschaffer getötet wurde? Hätte sie mich dann vielleicht nicht angegriffen? Mist. Ich verabscheute die Reue am Morgen danach, vor allem, wenn sie schon vor dem Morgen kam. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Trauer. Scham. Irgendetwas.
Beast schwieg. Sie empfand keine Scham, verstand das Gefühl nicht und hielt es für Zeitverschwendung. Ich steckte die Hand ins Wasser, sodass mein Spiegelbild zerstob, und schloss die Augen des Vamps.
Ich stand auf, immer noch verborgen von den ausladenden Blättern des Elefantenohrs, und entdeckte ein Handtuch, das über einem Stuhl auf der schmalen Terrasse lag. Da hinein wickelte ich den Kopf, mit ungelenken Bewegungen, denn mein Arm tat jetzt fürchterlich weh. Es war ein klopfender, pulsierender Schmerz, der mir trotz Beasts Hilfe Übelkeit verursachte. Ich legte den Turban wieder um meine Wunde, ging mit großen Schritten zum Zaun, warf den Kopf hinüber, packte die Kante mit der unverletzten Hand und zog mich hinauf. Für das bisschen Anstrengung viel zu heftig keuchend, machte ich mich auf den Weg nach Haus. Ich spürte die Erschöpfung in jedem Muskel.
Wenn der gesetzgebende Kongress je auf den Gedanken kam, den Vamps alle Bürgerrechte zuzugestehen, und sie damit zu mehr als Monstern machte, würde ich mir einen anderen Job suchen müssen. Dann konnte ich ins Gefängnis kommen, wenn ich sie pfählte. Beast zeigte mir ein Bild des Kinderheims, in dem ich sechs Jahre lang gelebt hatte: Beasts Vorstellung von Gefängnis. Irgendwann würde ich ihr mal einen echten Knast zeigen müssen. Oder einen Zoo. Beast fauchte.
Um vier Uhr war ich wieder zu Hause. Noch auf der Veranda drückte ich die Wahlwiederholung, um Leo anzurufen, während ich die Tür aufschloss. Gleich darauf hörte ich es drinnen leise läuten, und im selben Moment roch ich Vamp. Und Bruiser. Beast ging in Stellung. Leo Pellissier, Vorsitzender des Vampirrats, und sein Bodyguard saßen in meinem Wohnzimmer. Im Dunkeln. Mist. Mist, Mist, Mist .
Wieder erklang der Klingelton. Ich schwang die Tür auf. Ortete sie anhand ihres Geruchs. Leo saß reglos zu meiner Rechten, Bruiser zu meiner Linken. Ich sagte: »Wie geht es Ihnen, Leo?
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