Skinwalker 01. Feindesland
Atemzug als we sa tat, explodierten die Gerüche in mir – extrem und vielschichtig und doch deutlich voneinander zu unterscheiden. Rauch, Schweiß, schlechte Zähne, Bärenfett, Whiskey des weißen Mannes, Blut, Kräuter. Ich verspürte Hunger.
Ich legte den Kopf schief und sah meinen Vater an. Meine spitzen Ohren und die gebogenen Haarbüschel warfen Schatten auf den Stein. Edoda hatte sich ebenfalls gewandelt. In einen Puma. Seine tödlichen Augen sahen mich an, runde Pupillen in bernsteinfarbener Iris. Raubtierkrallen bogen und streckten sich auf dem Boden. Ich duckte mich ängstlich und machte mich klein.
In den Gerüchen des Feuers, der Tänzer und der Katze war der Duft meines Vaters beinahe nicht wahrzunehmen. Aber nur beinahe. Ich atmete ihn ein: Edoda unter dem Fell der Raubkatze.
Da drinnen war mein Vater und hielt an seiner Menschlichkeit fest, während er die Welt durch die Augen des Raubtiers sah. Schnurrend stieß er mich an, nötigte mich, aufzustehen. Auf vier Beinen steht man sicherer als auf zweien. Ich folgte ihm durch die nicht mehr so dunkle Höhle nach draußen.
Düfte und Geräusche waren flüchtig, intensiv, so voller Kraft, dass sie sie sich wie Messerstiche anfühlten. Luft strich über mein Fell und berichtete mir von der Welt um mich herum. Woher der Wind kam. Wie feucht die Luft war. Wie nahe die Sturmwolken waren. Welche Zeit des Jahres war. Der letzte Regen war immer noch nass in der Erde unter meinen Pfoten. Ich hörte die trippelnden Füße von Nagetieren, eine Eule in einem Baum über mir. Zwei kauende Hirsche auf dem Hügelkamm. Die Eule breitete die Flügel aus. Nachtvögel auf der Jagd schrien. Meine Sinne waren scharf und konzentriert. Ich streckte die Krallen, eine kleinere Version von Edodas Krallen, aber nicht minder gefährlich für meine Beute.
Edoda, tlvdatsi , führte mich in dichte Rhododendronbüsche. Ihre Stämme wanden sich aus der nackten Erde, und ihre Blätter formten in weniger als Mannshöhe über uns ein Dach. Er brachte mir bei, wie man jagte. Ich folgte ihm, sah zu, witterte, lauschte, lernte, wie man ein Kaninchen tötet. Meine Beute saß reglos wie ein Stein im Unterholz. Bis die Angst zu stark wurde und es losrannte. Ich sprang. Meine Krallen senkten sich tief hinein, meine Zähne gruben sich in seinen Nacken. Ich schüttelte das kleine Tier einmal, um ihm das Genick zu brechen. Edoda brachte mir bei, wie man tötete und fraß. Der Fühlen-Schmecken-Duft von Blut und Nahrung, das Knacken von Knochen, das heiße Fleisch.
Als ich das Fleisch schmeckte, senkte sich die Nacht über mich. Auf einmal waren alle Düfte wie verflogen. Ich lag zu Hause auf der Couch und hatte die Augen geschlossen. Ich erinnerte mich. Ich wusste es wieder. Wusste, was ich war, von Anfang an. Als ich damals aus dem Wald kam, war ich nicht das zwölfjährige Mädchen gewesen, für das die Behörden der Weißen mich hielten. Ich war sehr … sehr viel älter. Und ich hatte schon sehr viel mehr Zeit in Beasts Haut verbracht, als ich gedacht hatte.
Zitternd öffnete ich die Augen. Und begegnete dem Blick eines viel gefährlicheren Raubtiers mit langen Eckzähnen, die Lippen leicht hochgezogen, die Zähne leicht gefletscht.
12
Nackte Vamps. Und das Essen war auch nackt
Eigentlich hätte ich erschrecken müssen. Angst haben sollen. Stattdessen streckte ich mich und seufzte. Der Schmerz war wie weggeblasen. Ich ballte die Hand zur Faust, inspizierte meinen Arm, betrachtete das Muskelspiel unter der makellosen Haut. Ich zuckte leicht, um Leo zu bedeuten, dass er mich jetzt loslassen konnte. Ich riss mich nicht los, zerrte nicht, tat nichts, was eine Beute tun würde. Von einem Raubtier befreite man sich besser nicht gewaltsam. Wenn du am Leben bleiben willst, greif an oder stell dich tot. Eine von Edodas Lehren . Und dieses Raubtier hatte mir die Erinnerung daran wiedergegeben, dieser Killer . Also befreite ich sanft und ruhig meinen Arm aus seinem Griff. Und langsam erkannte ich wieder Leo Pellissier in diesen Augen.
Ich lächelte ihn an. Und sah tiefes Erstaunen in seinem Blick.
»Ich danke Ihnen « , sagte ich und wusste, ich dankte ihm mehr für die Erinnerung als für die Heilung. Vorsichtig streckte ich den wiederhergestellten Arm aus und strich mit den Fingern über seinen Hals. Bei der Berührung atmete er aus. Ich drehte seine Haarsträhne um meine Finger, ohne Schmerz zu verspüren. Die Sehnen waren wieder zusammengewachsen, geheilt.
Als seine Augen noch nicht die
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