Skinwalker 01. Feindesland
»menschlich « war winzig, aber merklich gewesen. Der Applaus setzte von Neuem ein, erst zögerlich, dann kräftiger, sicherer, als wären sie überzeugt, dass das Knurren Teil der Vorstellung gewesen war. Mit unerschütterlichem Lächeln führte Bruiser uns zur Tür, wo die Vamps uns beglückwünschten.
Kurz darauf schlich ich mich davon, um einen Rundgang durch den zweiten Stock zu machen, auf der Suche nach einem Aufgang zum Dach oder zum dritten Stock. Nirgends stieß ich auf die faulige Witterung des Rogue. Zwar roch ich ganz schwach die Frau, mit der er und Rick geschlafen hatten, und an anderer Stelle auch eine der Nuancen, die ich im Blut des Rogue wahrgenommen hatte, aber sie verloren sich im Gedränge der Gäste.
Ich wusste, dass Leo mit mir reden wollte, aber nachdem er mich bei unserem Tanz angesehen hatte, als wäre ich ein besonders köstlicher Leckerbissen, war mir nicht mehr danach. Deswegen war ich immer auf der Hut, als ich durchs Haus strich, und bog schnell in einen Flur ab oder schlüpfte in ein leeres Zimmer, wenn ich ihn sah, roch oder seine Stimme hörte. Zwar suchte er nicht wirklich nach mir, aber er roch zunehmend nach Frustration, die vermutlich auch mir galt. Doch es gelang mir, ihm erfolgreich aus dem Weg zu gehen, und Beast machte es großen Spaß, mir dabei zu helfen.
Als über die Gegensprechanlage des Hauses und die Lautsprecher eine Klingel ertönte, schloss ich, dass die Zeit gekommen war, die Gäste vorzustellen. Neugierig versteckte ich mich hinter einer Marmorstatue auf einem passenden Marmorsockel über der Eingangshalle und schaute zu. Leo stand mit dem Rücken zur Haustür, das Gesicht den Gästen zugewandt, die in der Halle zusammenströmten – die Vamps schnell wie immer, die Blutjunkies benommen wie unter Drogen – , ein Lächeln auf den Lippen, ganz der leutselige Gastgeber.
»Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute Abend « – als er »heute « sagte, war ein leichter Akzent zu hören – »zum Sitz des Pellissier-Clans gekommen sind, um gemeinsam mit uns zu feiern. Unsere Clans sind nicht mehr so zahlreich wie früher. So sieht es die Vampira Carta vor, das Gesetz der Vereinigten Staaten und gesellschaftliche Konventionen. Wenn uns also ein neuer Mithraner geschenkt wird, ist dies ein Segen. Und wenn es gar zwei sind, die durch ein Eheversprechen zwischen zwei unserer Clans zu uns kommen, dann ist das ein höchst bedeutsames Ereignis .« Er verzog den Mund zu einem strahlenden Lächeln und zeigte seine menschlich aussehenden Zähne. »Heute Abend stelle ich Ihnen, verehrte Gäste, meine zukünftige Schwiegertochter und ihren Bruder vor, Amitee und Fernand Marchand, sowie den zukünftigen Gatten der Braut « – er hielt inne und zog die Pause in die Länge, als würde nun etwas besonders Bedeutungsvolles folgen – »meinen Sohn, Nachkommen und Erben, Immanuel Pellissier .«
Zunächst herrschte verblüffte Stille, dann begannen einige zu jubeln, andere bestürzt zu tuscheln. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, warum: Bisher hatte Leo noch keinen Erben für die Führung des Clans benannt. Ganz offensichtlich gefiel einigen der anwesenden Vamps seine Wahl nicht. Ganz automatisch merkte ich mir, wer nicht erfreut war und wer keine Angst hatte, es zu zeigen. Am meisten verärgert zeigte sich ein dunkelhäutiger Vamp, von dem ich annahm, dass es Rafael Torrez war, der Erbe des Mearkanis-Clans – und Blutmeister, wenn Ming für tot erklärt wurde. Ein paar der anderen Vamps blickten in seine Richtung, um seine Reaktion zu beobachten.
Die Pheromone von Gewalt und Dominanz wirbelten durch den Raum, und Leo hob den Blick, das leutselige Lächeln immer noch im Gesicht. Aber als er das Wort ergriff, lag, obwohl er nicht in Torrez’ Richtung sah, ein stählerner Ton in seiner Stimme, der eben noch nicht da gewesen war. »Und als meine Gäste , die in meinem Haus Anspruch auf Gastfreundschaft haben, werden Sie, dessen bin ich mir sicher, die neuen Mithraner und meinen Erben gemäß der entsprechenden Konventionen und Protokolle willkommen heißen .«
Einen Moment geschah nichts. Torrez hatte sichtlich Mühe, sich zurückzuhalten, und setzte ein falsches Lächeln auf. Er drängte sich durch die Menge nach vorn, wo er Amitees Hand nahm und sie küsste und dabei etwas murmelte, was ich nicht verstand. Nach diesem Kuss schien sich der gesamte Raum zu entspannen. Die Feier ging weiter. Politische Fragen würden warten müssen, genauso wie die nach Leos Beziehung zu den
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