Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
Schacht ankamen und sich dort verteilten, schlenderte Nathael wie zufällig an seinem Gefährten Tomar vorbei und raunte ihm etwas zu. Nach kurzer Zeit wisperte Tomar einem anderen Arbeiter Hazaars Vorhaben ins Ohr. Auf diese Weise waren bald alle Männer darüber informiert, was nun bevorstand. Wenn die Wirkung des Zaubers eintrat, sollte jeder wissen, was zu tun sei.
Hazaar zeigte sich zufrieden mit den Vorbereitungen. Er strahlte die gewohnte Ruhe aus, aber in Wahrheit hatten ihn starke Zweifel befallen, ob er auch ohne seinen Gedächtnis stärkenden Umhang den schwierigen Zauber meistern konnte. Erneut wiederholte er im Geiste Teilstücke der komplizierten Formel, die ihm wie Glasscherben eines zerbrochenen Kruges erschienen, der wieder richtig zusammengesetzt werden sollte. Seitenlange Sätze, Wortfetzen und einzelne Laute wollte sein altersschwaches Gehirn nicht in der richtigen Reihenfolge wiedergeben, stellte er bedrückt fest.
Bemüht, die losen Fragmente in Gedanken zu ordnen, hoffte Hazaar darauf, dass ihm die rechten Worte wie von selbst einfallen mochten, wenn er erst begonnen hätte, sie aufzusagen. Es bedurfte nur ein wenig Konzentration, damit alles reibungslos gelang, versuchte sich Hazaar zu beruhigen. Außerdem stand ihm die gesamte Zauberkraft, die er auf dem Weg zum Drachenberg gesammelt hatte, zur Verfügung. Kein bisschen davon hatte er vergeudet, sodass sich seine Magie nun geballt entladen konnte. Wenn sein Plan funktionierte, sollten bald alle Sklaven befreit sein. Die Schwarzmagier würden statt ihrer im Drachenberg gefangen sein, bis die Wirkung des Zaubers nachließ. Solange hatten sie Zeit, den Stollen zu verlassen.
Hazaar bückte sich und klopfte mit seiner Hacke gegen den harten Stein. Das Geräusch übertönte sein Murmeln. Hätte ein Außenstehender ihn beobachtet, so könnte der Eindruck entstehen, der Magier singe bei seiner Arbeit ein Liedchen. In Wahrheit rief er gebannt die magischen Kräfte an. Leichter als vermutet, sprudelten die Worte förmlich aus seinem Mund.
Einige Male geriet er ins Stocken, doch letztlich fielen ihm alle nötigen Parolen wieder ein, sodass er die Beschwörung vollständig zu Ende bringen konnte. Als der letzte Satz verklungen war, konnte der Magier kaum glauben, dass sich kein Fehler in die Formeln eingeschlichen hatte. Jetzt galt es abzuwarten, bis steinerne Wände das Erdreich durchbrachen, um ein Labyrinth zu schaffen, das die Sklaven in die Freiheit führte.
Aus den Augenwinkeln hatten die Arbeiter den Zauberer beobachtet. Gespannt starrten sie nun auf den Boden, erwarteten, dass sich dort Risse bildeten, aus denen die Mauern emporschossen. Als wenig später tatsächlich ein Krachen ertönte, als sprenge eine unmenschliche Kraft die Felsen des Schachtes auseinander, schrien einige der Männer auf.
Hoch über ihren Köpfen dröhnte Ohren betäubender Lärm. Überrascht sah Hazaar nach oben. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Die Männer steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, während die Schwarzmagier sich bereits in der Mitte des steinernen Raumes versammelt hatten, um zu beratschlagen. Niemand von ihnen wusste den Vorfall richtig einzuordnen. So standen sie unschlüssig mit verwirrten Mienen herum, als wartete ein jeder darauf, dass ein anderer die Befehlsgewalt ergreifen möge. Mit einem lauten Knall riss die Decke auseinander.
Der folgende Anblick ließ Hazaar die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Weit über seinem grauhaarigen Haupt wuchsen Wände herab, die eigentlich aus dem felsigen Boden entstehen und ein Labyrinth bilden sollten, dessen Mauern höher als der größte der Schwarzmagier aufragten und die Sklaven in die richtigen Bahnen wies. Hazaars Plan zufolge brauchten die Gefangenen den Gängen nur zu folgen, um ins Freie zu gelangen. Den Feinden jedoch wurden die Ausgänge versperrt. Das Labyrinth ließ ihre Wege in Sackgassen enden, sodass sie während der Dauer des Zaubers in dem Irrgarten eingesperrt waren. Bis die Mauern sich wieder auflösten, wollte Hazaar mit den Männern längst in den Tiefen des Waldes verschwunden sein.
Der Fehler in seinem Zauber ließ ihn sein Kinn vor Scham senken. Statt wie ausersehen von unten nach oben war das Labyrinth von oben nach unten gewachsen. Quietschend verlängerten sich dessen Wände, bis sie weit in den Raum hinein ragten und dort endeten, wo die Größten unter ihnen das Labyrinth mit ausgestreckten Armen und auf Zehenspitzen gerade noch mit den Fingerspitzen
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