Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
Gedanke beschäftigte Ramin für eine Weile. Sollte es sich wirklich um ein solches Phänomen handeln? Waren sie tatsächlich einer Sinnestäuschung erlegen?
„Ich habe eine Idee!“, rief Gwendol plötzlich. „Erinnerst du dich an das Losungswort? Vielleicht müssen wir es jetzt schon verkünden!“
„Aber wer sollte es denn hören?“, zweifelte Ramin. „Außerdem kennst du es noch nicht. Oder?“
Gwendol dachte nach. Wie selbstverständlich klänge es aus ihren Mündern, erinnerte er sich an Hojomors Beschreibung. Krampfhaft versuchte der Junge, sich darauf zu konzentrieren, welche Worte ihm in den Sinn kamen. Womöglich befand sich die passende Losung darunter. Am besten, er probierte einige davon einfach aus. Sein Mund öffnete sich weit, um alles daraus hervordringen zu lassen, das in seinen Augen ein potentielles Zauberwort darstellte, in der Hoffnung, einen Treffer zu landen.
„Magier! Schloss! Hazaar! Gwendol!“
„Gwendol?“
Spöttisch blitzten Ramins schwarze Augen auf.
„Warum nicht?“, rechtfertigte sich der Knabe.
Doch jeder seiner Rufe verhallte im Nichts, ohne eine Wirkung zu zeigen. Gwendol suchte bereits nach weiteren Ausdrücken, die ihnen das Schloss näher bringen sollten, als unvermittelt ein Klappern ertönte, wie nur Pferdehufe es erzeugen konnten.
Mit einem wuchtigen Satz sprang Ramin vorsichtshalber ins Gebüsch, um sich zu verstecken und im Falle einer Gefahr aus dem Hinterhalt angreifen zu können. Ein winziger Punkt zeichnete sich vor der Burg ab, der sich binnen kurzer Zeit in einen stattlichen Reiter verwandelte.
„Sie schicken jemand, der uns abholt!“, jubelte Gwendol und hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund, um zu rufen: „Sei gegrüßt! Es ist mir eine Ehre, von dir ins Schloss gebracht zu werden!“
Doch als er näher kam, ließ der erstaunte Gesichtsausdruck des stolz aufgerichteten Herren darauf schließen, dass es sich wohl doch nicht um den vermuteten Boten Hazaars handelte.
„Du willst ins Schloss?“, fragte der Mann, dessen graues Haar dem kurzen Fell eines Esels glich.
Gwendol schilderte, wie er schon seit Stunden vergeblich versuchte, dorthin zu gelangen.
„Nun, ich muss dich enttäuschen. Ich bin nicht gekommen, um dir Einlass in Hazaars Reich zu verschaffen, denn ich weilte dort selbst nur als Gast. Aber sag, besitzt du denn keine Passierblume?“
Der verblüffte Gesichtsausdruck des kleinen Reisenden verriet ihm, dass dies vermutlich nicht der Fall war.
„Du weißt nicht, was es mit der Passierblume auf sich hat?“
Ratlos schüttelte Gwendol den Kopf und erwiderte: „Ich dachte, wir bräuchten ein Losungswort.“
Der Reiter winkte lächelnd ab, als hätte er erst jetzt Gwendols Problem verstanden.
„Aber nein! Die Losungen verwendet Hazaar seit langem nicht mehr. Einige schwarze Gegenspieler Hazaars schafften es nämlich, die Kennung herauszufinden und ins Schloss einzudringen. Hazaar musste sich ein sichereres Verfahren ausdenken: Er legte seinen Zauber über eine ganz bestimmte Blume, die dadurch die besondere Eigenschaft erhielt, für reine Herzen wie ein Schlüssel zu seinen Gemächern zu wirken. Seitdem gelingt es nur noch Lebewesen, die kein Unheil im Sinn haben, zu dem Magier vorzudringen.“
„Und wo finde ich diese Blume?“, erkundigte sich Gwendol.
„Sie wächst im Wald, scheut jedoch das Tageslicht. Erst das Dunkel der Nacht lässt sie erblühen, in verschiedensten Formen und Farben. An ihrem unbeschreiblichen Duft wirst du sie erkennen. Doch nun leb’ wohl, Knabe. Ich muss weiter ziehen. Viel Erfolg!“
Bevor Gwendol weitere Fragen stellen konnte, setzte sich das Pferd wieder in Bewegung, um seinen Herrn nach Hause zu tragen.
Als der Reiter die Biegung passiert hatte, brach Ramin wieder aus dem Unterholz hervor und betrat geräuschvoll die Straße. Seine feinen Ohren hatten jedes einzelne Wort des Mannes vernommen.
„Also warten wir auf den Sonnenuntergang!“, riet er und setzte sich auf die Hinterläufe, während Gwendol ungeduldig hin- und her lief, um so die Wartezeit mit unablässiger Bewegung auszufüllen.
Als später die Dämmerung endlich einsetzte, verkündete der Knabe schrill: „Ich beginne jetzt zu suchen!“
Ramin, der ein wenig vor sich hin gedöst hatte, schrak jäh auf.
„Jetzt schon?“, fragte er schlaftrunken. „Es ist doch noch gar nicht richtig dunkel.“
Doch Ramin konnte den Jungen nicht davon abhalten. Ramin sah sich ebenfalls um. Er hielt nach einer Pflanze
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