Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
tappte weiter, vertraute seinen Füßen, die sich ahnungslos einen Weg durch das in Finsternis gehüllte Gestrüpp suchten. Am Tage hätte Andakor über den Ast, der sich vor ihm in Kniehöhe reckte, ohne weiteres hinweg steigen können. Doch jetzt, im Dunkel der Nacht, bemerkte er ihn erst viel zu spät. Der Länge nach fiel er über das Hindernis mitten in das Blattwerk eines niedrigen Busches. Weithin hörbar durchbrach das Knacken der brechenden Zweige die Stille des nachtruhenden Waldes.
Geduckt am Boden liegend erwartete Andakor die fürchterliche Reaktion seines Gefährten, der diesen Lärm unmöglich überhören konnte. Nach einer Weile begriff er jedoch, dass kein Blitz auf ihn hernieder fuhr, dass ihm keine Feuerbälle entgegen flogen, noch dass er auf ähnliche Art und Weise attackiert wurde. Um sicher zu gehen, wartete Andakor ein wenig, bevor er vorsichtig aufstand und sich langsam weiter von ihrem Nachtlager entfernte. Hinter ihm trottete der Esel, der einige Male mit seiner Schnauze liebevoll an die Schulter des Zauberers stupste, als wolle er dadurch seine Solidarität ausdrücken. Andakor lächelte, als das Tier erneut, diesmal ein wenig heftiger, das Maul an seinem Besitzer rieb.
„Du bist ein treuer Geselle“, flüsterte der Magier dankbar und griff nach hinten, um dem Esel über den Kopf zu streicheln. Seine Hand ertastete dabei etwas, das sich ganz und gar nicht wie ein Esel anfühlte. Vielmehr spürte er die kalte Haut eines menschlichen Fingers, der auf seinem Schulterblatt lag.
Andakor fuhr herum und erstarrte, als er Rutam sah, der dort stand, größer und mächtiger denn je. Seine ohnehin riesige Gestalt vermittelte den Eindruck, sie sei durch Zauberkraft noch um Längen gewachsen.
„Wo willst du hin?“, fragte er wie beiläufig.
„Ich, ich konnte nicht schlafen, da wollte ich mich schon einmal nach einem Frühstück umsehen“, log Andakor ungeschickt.
„Soso, ein Frühstück also.“ Rutam lächelte kalt. „Gedachtest du etwa, dieses Frühstück ohne mich einzunehmen?“
„Nein, Meister. Natürlich nicht.“
„Du lügst!“, schrie Rutam aufgebracht.
Andakor rang nach Worten, um sich zu verteidigen, doch er brachte lediglich ein gestammeltes „Das würde ich nie wagen“ hervor.
Rutams wutverzerrtes Gesicht wirkte, als verspürte er Lust, auf ihn loszugehen. Unvermittelt lief Andakor los, raffte dabei seinen Umhang bis zu den Knien hoch, um nicht zu straucheln, und verschwand schnell in der Finsternis. Doch seine bleichen Unterschenkel leuchteten förmlich in der Dunkelheit und dienten so unfreiwillig als Wegweiser für Rutam, der sofort die Verfolgung aufnahm. Bald hatte der jüngere und gewandtere Andakor bereits einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen.
Doch was Rutam an körperlicher Kraft fehlte, glich er durch seine erfahrene Magie wieder aus. Wie er es bewerkstelligt hatte, wusste der Jungmagier nicht, doch plötzlich befand sich Rutam direkt vor ihm. Entschlossen, seinem Widersacher zu entkommen, schlug Andakor eine andere Richtung ein. Aber dort baute sich der Magier erneut vor ihm auf, als hätten ihn unsichtbare Kräfte dorthin versetzt. Ungläubig blieb Andakor für einen Moment stehen.
Eben hatte sich Rutam noch viel weiter links aufgehalten, wie war es möglich, dass er ihm nun schon wieder frontal gegenüber stand?
Panisch schielte Andakor zur Seite, um erschrocken festzustellen, dass Rutam dort ebenfalls verweilte. Ein Vervielfachungszauber! Er wagte kaum, in die andere Richtung zu sehen, doch schließlich warf er einen Blick nach rechts. Ein weiterer Rutam. Andakor drehte sich um. Hinter ihm befand sich ein vierter Zaubermeister. Wohin er auch blickte, überall erhellten die blassen Gesichter des Magiers die Dunkelheit. Sie kamen näher. Kreisten ihn ein.
Einige Baumlängen entfernt hielt sich Rutam derweil den Bauch vor Lachen. Andakor konnte die Duplikate nicht von dem Original unterscheiden! Eigentlich kein Grund zur Erheiterung. Schon immer hatte er gewusst, dass sich dieser junge Mann niemals zu einem wahren Schwarzmagier entwickeln würde. Sein geringes Interesse an der Magie, sein fehlendes Talent und vor allem die nicht ausreichend vorhandene Bösartigkeit ließen früh erahnen, dass sich eine umfangreiche Ausbildung wohl kaum lohnte.
Trotzdem nahm Rutam ihn auf, und nachdem die Lehrjahre vorbei waren, wusste er, dass ihm Andakor als treuer Geselle und solider Knecht nützlich sein konnte. Zumindest hatte er sich keine ernsthafte
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