Sklaven der Begierde
er. Er hatte eineinhalb Jahre mit Nora zusammengelebt. Er hatte sie in ihren schlimmsten Momenten gesehen. Verkatert, übermüdet, mit wirrem Haar und so weiter. Sie sah selbst dann, wenn sie gerade aus dem Bett gefallen war, besser aus als die meisten Frauen nach zweistündiger Schönheitspflege.
„Oh, ich habe schon alles erlebt. Beim Sex mit Kingsley hatte ich zum Beispiel einmal einen Wadenkrampf. Ich habe so laut geschrien, dass seine Sekretärin den Notarzt gerufen hat.“
„ED?“
„Eher nicht, es sei denn, man zählt Søren.“
Wesley sah, wie das Lächeln aus Noras Gesicht verschwand.
„Søren?“
Sie biss auf ihre Unterlippe und nickte. „Wenn er mir nicht wehtut, oder jemand anderem, kann er nicht … funktionieren.“
„Kann nicht oder will nicht?“
„Kann nicht. Er. Kann. Nicht.“ Nora lächelte schwach. „Weißt du, er tut mir nicht aus Spaß an der Freude weh. Es ist unser Vorspiel. Das habe ich dir doch erklärt.“
Wesley erinnerte sich an diese Unterhaltung. Er war damals noch nicht mal bei Nora eingezogen. Kaum achtzehn Jahre alt, im ersten Collegejahr. Es war im Dezember, kurz vor den Weihnachtsferien. Und er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Nora im nächsten Jahr nicht mehr in Yorke unterrichten würde. Aber sie war nur für das Wintersemester angeheuert worden. Im Frühling wäre sie weg.
Er hatte ein bisschen geflunkert und ihr gesagt, dass seine Eltern ihn womöglich von der sehr teuren Schule nehmen würden. Nora hatte nicht eine Sekunde gezögert. Sie bot ihm sofort an, bei ihr einzuziehen, denn Kost und Logis machten mindestens die Hälfte der Schulgebühren aus. Allerdings warnte sie ihn: Sie sei nicht nur eine Schriftstellerin, sondern arbeite auch als Domina. Sie interpretierte seinen Gesichtsausdruck als Schock. Tatsächlich war er nur verwirrt gewesen. Er hatte keine Ahnung, was eine Domina war.
Dann erzählte sie ihm von Søren, von ihrer komplizierten Beziehung zu ihm, dass sie sich von ihm getrennt habe, und trotzdem … trotzdem … Und Wesley war allein bei dem Gedanken, dass ein Kerl die Hand gegen seine Nora hob, die Frau, die er mit einer Leidenschaft liebte, dass er in ihrer Gegenwart kaum atmen konnte, das Testosteron zu Kopf gestiegen.
„Sieh einfach zu, dass ich ihn nicht zu Gesicht kriege“, hatte er gesagt und sich dabei fast auf die Brust getrommelt. Selbst jetzt konnte er nicht an diesen Moment denken, ohne zu erröten. Er war so anmaßend gewesen, so ein Teenager. Und er hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, wie unglaublich furchterregend Søren sein konnte.
„Was? Du glaubst, du könntest es mit Søren aufnehmen?“ Und dann hatte Nora sich ausgeschüttet vor Lachen. Es hätte seine Gefühle vermutlich weniger verletzt, wenn sie ihm dabei nicht herablassend auf den Kopf geklopft hätte. „Wesley, leg dich niemals mit einem Sadisten an. Für Søren ist Folter einfach nur Vorspiel.“
Und dann waren ihre Augen schwarz wie die Nacht geworden, und etwas darin hatte ihn zu Tode erschreckt. In diesem Moment hatte er begriffen, dass er Nora Sutherlin im Grunde überhaupt nicht kannte.
„Warum bist du bei ihm geblieben?“ Als er das fragte, war seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern gewesen.
Nora hatte gelächelt, und das Lächeln ließ ihr ganzes Gesicht und ihre Augen leuchten, und er konnte nichts anderes tun, als dieses Lächeln so verzückt zu bewundern, wie er nachts manchmal die schimmernde Mondsichel bewunderte.
„Ich mag Vorspiel.“
„Du hast damals gesagt, dass es dir gefällt, wenn er dich schlägt“, sagte Wesley jetzt und streichelte ihre Beine, wobei er seine Hand jedes Mal etwas höher gleiten ließ.
„Es hat mir gefallen. Es gefällt mir immer noch. Aber mitunter ist es einfach erschöpfend. Schmerzen tun nun mal weh, und beim Sex mit Søren gehören sie eben dazu. Manchmal habe ich mich schon gefragt, wie es wäre, einfach mal Sex haben zu können, ohne vorher leiden zu müssen.“
Wesley sagte nichts. Er umfing Noras Gesicht mit beiden Händen und strich mit dem Daumen zart über ihre Wangenknochen. Sie rümpfte die Nase, und er lachte.
„Was stinkt dir denn?“
„Deine Hände. Sie riechen nach Welsfutter.“
Hastig zog Wesley seine Hand zurück.
„Tut mir leid. Vielleicht hast du recht. Wir sollten zurück ins Haus gehen. Ich könnte noch schnell duschen.“
„Nein, nein, nein. Wir tun es hier. Unbedingt. Aber Welsfutter-Hände – das ist auch so was, das nie bei Sexszenen in Büchern
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