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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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seiner Brust. Nimm sie in die Arme! Tanze! Als er die Hände ausstreckte, hielt die Musik an, und die farblose Stimme des Königs erklang über den Lautsprecher:
    »Meine Damen und Herren, Bürger von Toromon, ich habe eben vom Rat eine Botschaft erhalten, die mich dazu zwingt, ein paar Worte an meine Freunde und treuen Untertanen zu richten. Der Rat hat mich offiziell gebeten, seiner Kriegserklärung zuzustimmen. Die Ereignisse haben plötzlich eine Wende genommen, die Sofortmaßnahmen gegen den Feind vom Festland erfordern. Deshalb erkläre ich hiermit feierlich, daß sich das Reich Toromon im Kriegszustand befindet.«
    In dem Schweigen, das folgte, suchte Jon nach seiner Schwester, aber sie war verschwunden. Jemand in der Nähe des Mikrophons rief: »Es lebe der König!« Dann wurde der Ruf von allen wiederholt. Das Orchester begann zu spielen, Partner fanden zueinander, und das Lachen und Plaudern drang in Wellen auf ihn ein – wie Gestein, das weit weg in die Tiefe rollte, wie das Rattern der Schneidwerkzeuge, die sich in das Erz fraßen …
    Jon schüttelte den Kopf. Aber er befand sich in seinem eigenen Haus, ja. Sein Zimmer lag im zweiten Stock. Er konnte hinaufgehen und sich hinlegen. Und auf dem kupfernen Nachttisch neben seinem Bett lag das Buch Delcord, der Walfänger, das er am Abend zuvor gelesen hatte.
    Er hatte den Ballsaal verlassen und befand sich im Korridor, als ihm zu Bewußtsein kam, daß ihm das Zimmer wahrscheinlich nicht mehr gehörte. Und daß er keinesfalls hinaufgehen und sich hinlegen konnte. Er stand vor einem der Salons. Die Tür war angelehnt, und im Innern hörte er eine weibliche Stimme.
    »Kannst du nicht wenigstens etwas mit seinem Brechungsindex unternehmen? Wenn er nachts arbeiten soll, dann darf er nicht wie eine Feuerzeugflamme verlöschen.« Schweigen. Dann: »Du solltest ihm etwas mehr verraten, besonders jetzt, da der Krieg offiziell erklärt wurde. Ah, schön.«
    Jon holte tief Atem und trat ein.
    Ihre Smaragdschleppe wirbelte über das dunklere Grün des Teppichs, als sie sich umdrehte. Das leuchtende Haar, nur von zwei Korallenkämmen gehalten, fiel ihr auf die Schultern. Ihr Lächeln verriet leichte Überraschung. »Mit wem haben Sie gesprochen?« fragte Jon Koshar.
    »Mit gemeinsamen Freunden«, sagte die Herzogin. Sie waren allein im Zimmer.
    Nach einer kleinen Pause fuhr Jon fort: »Was wollen sie von uns? Es ist Verrat, nicht wahr?«
    Die Augen der Herzogin wurden schmal. »Meinen Sie das im Ernst?« fragte sie. »Sie nennen es Verrat, wenn wir diese Idioten davon abhalten, sich selbst zu vernichten, einander in einem Krieg mit namenlosen Gegnern aufzufressen? Der Feind ist so mächtig, daß er uns mit einem einzigen Gedanken vernichten könnte, wenn er das im Ernst wollte. Erinnern Sie sich, wer der Feind ist? Sie haben seinen Namen gehört. Nur drei Menschen in Toromon kennen ihn, Jon Koshar. Alle anderen tappen im dunkeln. Deshalb sind wir die einzigen, die volle Verantwortung tragen. Verantwortung Toromon gegenüber. Wissen Sie, in welchem Zustand sich die Wirtschaft befindet? Ihr Vater trägt auch Schuld daran; aber wenn er jetzt die Aquarien schließen würde, hätten wir nichts gewonnen. Die Panik wäre ebenso groß wie zuvor. Das Reich strebt immer schneller der eigenen Vernichtung entgegen. Der Krieg stellt das Ende dar. Und Sie nennen es Verrat, wenn wir das verhindern?«
    »Ganz gleich, wie wir es nennen, wir haben kaum eine Wahl, nicht wahr?«
    »Wenn ich Sie so betrachte, finde ich das nicht weiter bedauerlich.«
    »Sehen Sie«, sagte Jon. »Ich wurde da draußen fünf Jahre lang in einem Bergwerk festgehalten. Ich wollte nichts wie fort, verstehen Sie? Ich wollte frei sein. Und jetzt bin ich wieder in Toron, aber ich befinde mich nicht in Freiheit.«
    »Erstens«, sagte die Herzogin, »wären Sie überhaupt nicht mehr am Leben, wenn unsere Freunde Ihnen nicht geholfen hätten. Wenn Sie nach einem Tag in sauberen Kleidern und an der frischen Luft nicht wissen, was Sie wollen, dann muß ich meine Pläne ändern. Ich habe nämlich auch ein Ziel vor Augen. Als ich siebzehn war, arbeitete ich einen Sommer lang in den Aquarien Ihres Vaters. Ich verbrachte neun Stunden am Tage mit einem riesigen Metallschaber in der Hand und kratzte das Zeug von den Tanks, das die Glasfilter nicht mehr aufnahmen. Abends war ich meist so müde, daß ich nur noch lesen konnte. Und so las ich. Ich beschäftigte mich vor allem mit der Geschichte Torons und mit den Expeditionen

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