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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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nieder und schliefen.
    Als der Hüne ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn wachrüttelte, war es noch dunkel. Diesmal zuckte er nicht zusammen. Er blinzelte in die Nacht und setzte sich auf. Es war kälter geworden. Wind spielte mit seinen Haaren und blies ihm in den Nacken. Dann hörte er ein helles Kreischen über den Bäumen, das langsam verebbte. Quorl nahm den Jungen am Arm, und sie marschierten rasch unter den reglosen Bäumen dahin.
    Graues Licht sickerte von links durch die Wipfel. War es Morgen? Nein. Der Junge sah, daß der Mond aufging. Das Licht wurde weiß, dann silbrig. Sie kamen schließlich an eine Klippe, die zum Meer hin abfiel. Geröll sammelte sich auf Felsvorsprüngen. Fünfzehn Meter unter ihnen, aber immer noch dreißig Meter über dem Wasser, befand sich ein breites Felsplateau. Der Mond stand jetzt so hoch, daß er die Steinarena und den kleinen Tempel am Rande enthüllte.
    Vor dem Tempel stand ein Mann in schwarzen Gewändern, der auf einer großen, gewölbten Muschel blies. Das durchdringende Wimmern lag über dem Meer und dem Dschungel. In der Arena sammelten sich die Menschen. Manche kamen zu zweit oder mit Kindern, aber die meisten waren allein.
    Der Junge wollte nach unten klettern, aber Quorl hielt ihn zurück. Sie warteten. Geräusche in der Umgebung verrieten ihnen, daß auch andere das Schauspiel von hier oben betrachteten. Auf den Wellen spiegelte sich jetzt verzerrt der Mond. Sterne standen am Himmel.
    Plötzlich wurde eine Menschengruppe von dem Tempel auf die Plattform geführt. Die meisten waren Kinder. Aber der Junge sah auch einen alten Mann, dessen Bart im Wind flatterte, und eine hochgewachsene, stattliche Frau. Alle waren gefesselt und fast nackt, und alle bis auf die Frau sahen sich nervös um.
    Der Priester mit dem schwarzen Gewand verschwand im Tempel und erschien mit einem Gerät, das an eine große Gabel erinnerte. Der Priester hob es ins Mondlicht. Die Menge murmelte und schwieg dann. Der Junge sah die drei Zacken des Instruments metallisch aufblitzen.
    Der Priester trat zum ersten Kind und hielt den Kopf des Opfers schräg. Dann fuhr er mit dem Dreizack rasch über die linke Wange des Mädchens. Sie stieß einen unterdrückten Laut aus, der vom Geflüster der Menge übertönt wurde. Der Priester ging zum nächsten Kind und dann zum nächsten. Die Frau stand völlig ruhig da, als die Klingen ihre Wange öffneten. Sie zuckte nicht einmal zusammen. Der alte Mann hingegen hatte Angst. Der Junge merkte es, da er zu wimmern begann und einen Schritt zurücktrat.
    Aus der Arena kamen ein Mann und eine Frau und hielten ihn fest. Als die Zacken seine linke Wange aufrissen, ging sein hohes, seniles Wimmern in einen Schrei über. Einen Moment lang dachte der Junge an die gefangenen Tiere. Der alte Mann machte sich schwankend von den beiden Helfern frei. Niemand beachtete ihn mehr. Wieder hob der Priester die Muschel an die Lippen, und der hohe, klare Laut durchflutete die Arena.
    Dann, so schweigend wie sie gekommen waren, verschwanden die Menschen wieder im Wald. Quorl legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. Auch sie gingen zurück zu den Bäumen. Der Junge sah den Hünen fragend an, aber er erhielt keine Erklärung. Einmal fing sich ein Mondstrahl auf einer nackten weißen Schulter zu seiner Linken. Der Junge merkte, daß Tloto ihnen folgte.
     
    Der Junge lernte Tag für Tag neue Dinge. Quorl brachte ihm bei, wie man die Därme der Tiere zu Schnüren und Bogensehnen verarbeitete. Man mußte sie lange Zeit dehnen und dann mit Fettklumpen einreiben. Sobald er diese Arbeit beherrschte, mußte er sie immer tun. Ebenso wurde es seine Aufgabe, die Köder in den Fallen zu wechseln, Weidenzweige für Schlafroste zurechtzuschneiden, Feuerholz zu stapeln und beim Bau der provisorischen Regenhütten zu helfen.
    Er lernte auch Worte. Zumindest lernte er sie verstehen. Tike – Falle, Di’tika – zugeschnappte Falle. Tikan – zwei Fallen. Eines Nachmittags verbrachte Quorl ganze sechs Stunden damit, dem Jungen Wörter beizubringen. Es gab viele. Selbst Quorl, der kaum sprach, wunderte sich darüber, wie viele man wissen mußte. Der Junge sagte überhaupt nichts. Aber bald verstand er.
    »Das hier ist ein Stachelschwein«, pflegte Quorl zu sagen.
    Dann folgten die Blicke des Jungen seinem ausgestreckten Finger, und er nickte schweigend.
    An einem Abend gingen sie durch den Wald, und Quorl sagte: »Du trampelst wie ein Tapir.« Der Junge war auf trockene Blätter getreten.

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