Sklaven der Flamme
das Kinder hatte, gab er ihnen einen Teil seiner Beute. Aber wenn sie an Menschen mit Narben vorbeikamen, blieb Quorl reglos stehen, bis sie verschwunden waren.
Einmal wanderte der Junge zu dem Tempel auf der Felsarena. Der Stein war mit Ornamenten verziert. Die Ornamente stellten Geschöpfe dar, die halb wie Menschen, halb wie Fische aussahen. Als der Junge von den Mustern im Fels aufsah, bemerkte er, daß der Priester vor den Tempel getreten war und ihn anstarrte. Er starrte so lange, bis der Junge wegging.
Nun versuchte der Junge, den Berg zu erklettern. Das war schwer, denn der Untergrund war schlüpfrig, und die Felsbrocken gaben manchmal nach. Schließlich blieb er auf einem Vorsprung stehen und sah in die Tiefe. Er kannte die Umgebung nicht. Er war sehr hoch geklettert. Nun hielt er sich mit einer Hand am morschen Stamm eines verkrüppelten Baumes fest und blinzelte mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. (Drei- oder viermal hatte er mit Quorl lange Jagdausflüge unternommen: einer hatte sie an den Rand einer verlassenen Wiese geführt, wo ein windschiefes, verfallenes Bauernhaus stand. Es wohnten keine Leute darin. Ein anderes Mal waren sie bis an den Rand des Dschungels vorgedrungen. Dahinter war der Boden grau und aufgewühlt, und ganze Reihen von häßlichen Hütten standen zwischen Farnstauden. Viele der Dschungelbewohner, die hier lebten, hatten Narben. Sie hatten sich in Gruppen zusammengetan.) Der Junge überlegte, ob er von hier aus die verlassene Wiese oder die Hütten in den Farnstauden sehen konnte. Ein Fluß zog wie eine Schlange aus Licht durch das Tal. Der Himmel war sehr blau.
Er hörte es zuerst, und dann spürte er das Nachgeben. Er hastete zurück auf festen Grund, aber er war nicht schnell genug. Der Felsblock kippte, brach, und er stürzte in die Tiefe. (Messerscharf kam die Erinnerung an das Mädchen: »… Knie hoch, Kinn nach unten und rasch abrollen!«) Bis zum nächsten Felsvorsprung waren es vielleicht sechs Meter. Äste dämpften seinen Fall. Er schlug auf und rollte sich ab. Etwas anderes, der Felsblock oder der morsche Baumstamm, schlug eine Sekunde später an der gleichen Stelle auf. Er streckte sich zu früh. Er wollte sich eben im Fels festkrallen, als es an ihm vorbeidonnerte. Dann spürte er einen Schlag und noch einen, und mit dem Schmerz kam die Dunkelheit.
Sehr viel später schüttelte er den Kopf und öffnete die Augen. Er biß die Zähne zusammen, als er den Schmerz spürte. Aber der Schmerz war in seinem Bein, und da half das Zähne-Zusammenbeißen kaum etwas. Sein Gesicht lag im Staub. Die ganze linke Körperhälfte schmerzte, als seien die Muskeln bis zur Erschöpfung angespannt.
Er versuchte vorwärtszukriechen und fiel aufs Gesicht. In seinem Mund knirschte der Sand. Sein Bein pochte.
Er mußte ganz ruhig bleiben und herausfinden, was geschehen war. Er konnte sich nicht in Stücke reißen wie die Wildkatze, die in die Falle geraten war und sich die Hinterpfote abgebissen hatte, um die Freiheit zu gewinnen. Sie war verblutet. Nein, das konnte er nicht. Er war zu malika.
Aber jede Bewegung und jeder Gedanke waren eingehüllt in einen flirrenden Schmerzschleier. Er hob den Kopf und drehte ihn mühsam herum. Dann legte er sich wieder hin und schloß die Augen. Ein Stamm, so breit wie sein ganzer Körper, lag über seinem linken Bein. Einmal versuchte er ihn wegzuschieben, aber er riß sich die Handfläche an der Rinde auf. Schließlich verlor er wieder das Bewußtsein.
Als er aufwachte, war der Schmerz sehr weit weg. Es wurde dunkler. Nein, das stimmte nicht. Er träumte noch. Er träumte von etwas Schönem, einem kleinen Garten. Am Rande huschten Schatten hin und her, kühl, hastig – ein kleiner Garten hinter dem …
Plötzlich, ganz plötzlich erkannte er, was geschah … seine Gedanken wurden langsamer, sein Atem, vielleicht auch sein Herzschlag. Und dann kämpfte er wieder. Er kämpfte so hart, daß er sich doch in Stücke gerissen hätte, wenn noch genug Kraft in ihm gewesen wäre. Und während er kämpfte, überlegte er, daß die Wildkatze vielleicht doch malika gewesen war. Unter dem Stamm sickerte ein dünner Blutstrahl hervor.
Dann überwältigten ihn die Schatten, die Träume, das Vergessen.
Tloto mußte Quorl beinahe den Berg hinaufschleifen, bis der Hüne ihn verstand. Aber dann begann Quorl zu laufen. Er fand den Jungen kurz vor Sonnenuntergang. Er atmete in kurzen Stößen, die Augen geschlossen, die Fäuste geballt. Das Blut auf dem
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