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Sklaverei

Sklaverei

Titel: Sklaverei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Cacho
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unterscheiden, sind sie nicht weniger menschlich.
    Als ich während des Prozesses gegen mein Buch
Los Demonios del Edén
den mexikanischen Kinderhändlern in die Augen sah, wurde mir klar, dass sie bei weitem nicht so mächtig sind, wie wir gern meinen: Sie sind keine Monster, sondern Menschen und sehr kleine noch dazu. Die Macht, die sie haben, erhalten sie nur, weil wir Angst vor ihnen haben. Wir dagegen haben die Macht, sie zu bekämpfen und von unseren Straßen zu verjagen, aber nicht mit Hilfe der Polizei oder der harten Hand aus Washington, sondern durch eine Zermürbungstaktik.
    Außerdem benötigen wir eine Revolution der Männlichkeit. Eine neue Generation von Männern, und zwar keine Krieger, keine Soldaten und auch keine Kreuzfahrer, sondern Männer mit einem gesunden Bewusstsein von Gleichheit und Fortschritt. In den letzten Jahren habe ich viele Männer dieser Art kennengelernt. Die Männer müssen sich neu erfinden, ehe die Mafia und die verantwortungslose und gleichgültige Weltgesellschaft alle Mädchen davon überzeugt hat, dass sie nur dann eine Ausbildung, Essen und ein gutes Leben bekommen können, wenn sie sich als Sexsklavinnen verdingen; und ehe eine neue Generation von Männern auf den Gedanken kommt, der Kauf von Sklavinnen könne fortschrittlich und modern sein.

12 Zahlenspiele, moralische Entrüstung oder: Worum es wirklich geht
    Während meiner Nachforschungen zu diesem Buch bin ich auf Schritt und Tritt Menschenhändlern, Freiern, Politikern, Akademikern, Pornoproduzenten und -darstellerinnen, Prostituierten und Feministinnen begegnet, die behaupten, die von den internationalen Organisationen veröffentlichten Zahlen über die Opfer des Menschenhandels zum Zweck der Prostitution seien viel zu hoch gegriffen. Im gleichen Atemzug behaupten sie, man könne eindeutig zwischen freiwilliger und Zwangsprostitution unterscheiden. Die meisten dieser Menschen gehen irrtümlicherweise davon aus, man könne die Versklavung einer Frau an ihrer Bewegungsfreiheit beziehungsweise ihrer eigenen Wahrnehmung ablesen.
    Es herrscht generell Einigkeit darüber, dass die Zwangsprostitution durch das Sexgewerbe heute mit 79  Prozent die mit Abstand häufigste Form der menschlichen Sklaverei darstellt. Dem folgt die Zwangsarbeit in all ihren Formen mit 18  Prozent. Die verbleibenden 3  Prozent setzen sich zusammen aus der Haussklaverei, die vermutlich deutlich zu niedrig eingeschätzt wird; der Zwangsheirat, die in einigen Ländern eine religiöse Tradition ist; dem Organhandel, der von der Ärztemafia betrieben und von den Behörden der am stärksten betroffenen Länder nur widerstrebend dokumentiert wird; sowie der Ausbeutung von Kindern als Bettler oder Kindersoldaten, die ebenfalls unzureichend dokumentiert ist.
    Verschiedene Gruppen werden in unterschiedlichem Maße ausgebeutet, und die Zahlen unterscheiden sich je nach der Methode, mit der sie erfasst werden. In diesem Buch habe ich versucht, die Dimension des Menschenhandels mit der Objektivität darzustellen, die jemand mitbringen kann, der Hunderte Geschichten von Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, Mord, Täuschung, Erniedrigung, Verbrechen und Angst gehört hat. So objektiv ich bei meinen Recherchen vorgegangen bin, meine Wahrnehmung veränderte sich mit jedem Opfer und jedem Täter, der mir seine Geschichte erzählte und mir in die Augen blickte. Ich habe versucht darzustellen, wie vielfältig und unterschiedlich die Erfahrung der Sklaverei in aller Welt sein kann. Ein französischer Soziologe behauptete beispielsweise, die jungen Frauen in den vietnamesischen Dörfern, die ich besucht habe, seien freie Prostituierte, weil sie nicht eingesperrt lebten, sondern sich zwischen dem Bordell und ihrem Zuhause frei bewegen konnten. Aber als ich einige Tage lang den Alltag dieser jungen Frauen teilte und mit ihnen aß und schlief, wurde ich Zeuge, wie sie Opfer häuslicher und sexueller Gewalt wurden und von ihren Eltern angewiesen wurden, Geld »vom Holländer« nach Hause zu bringen. Aus meiner Sicht handelt es sich bei diesen Mädchen um Sklavinnen der Ausbeutung und der kulturellen Werte, die Gewalt gegen Frauen propagieren: Sie sind konkrete Opfer der strukturellen Gewalt.
    Obwohl die Debatte hitzig und zum Teil unsachlich geführt wird, hat sie meiner Ansicht nach zu einem vertieften Nachdenken geführt. Vor allem haben viele Beteiligte gelernt, Fragen zu stellen, statt an schematische Antworten und Schwarz--Weiß-Darstellungen zu glauben. Ich bin

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