Sklaverei
zutiefst dankbar, diese Gelegenheit gehabt zu haben, mit Experten »aus beiden Lagern« zu sprechen und selbst Gehör zu finden – es war eine große Herausforderung für mich, durch die ich viel gelernt habe.
In diesem Kapitel möchte ich auf die Zahlen, die offenen Fragen und die internationale Diskussion über das Sexgewerbe zu sprechen kommen. Zuvor jedoch einige Anmerkungen. Es ist wichtig, den Schleier zu lüften, um einen Blick auf all das zu bekommen, was in dieser Diskussion
nicht
gesagt wird, in der Hoffnung, auf diese Weise auch diejenigen Menschen, die nicht an vorderster Front arbeiten, in diese für die globale Zivilgesellschaft so wichtige Diskussion einzubeziehen. Mangelnde Information hilft nur den Menschenhändlern, oder wie heißt es so schön: Der Teufel steckt im Detail.
Wie was gezählt wird
Die internationalen Zahlenspiele haben entscheidend dazu beigetragen, dass die besonderen regionalen Gegebenheiten nicht ausreichend zur Kenntnis genommen werden. Die Achillesferse der Kriminalitätsstatistiken ist unter anderem die Schätzung und Interpretation der Dunkelziffern. Es wird geschätzt, dass auf x zur Anzeige gebrachte Verbrechen y weitere kommen, die nicht angezeigt werden; dass diese Zahl schwer zu schätzen ist, bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt. Bei Vergewaltigung und Inzest ist die Dunkelziffer beispielsweise gewaltig. Das liegt unter anderem an der Schande, die eine Anzeige für die Opfer mit sich bringt, und an der Erniedrigung, die mit einer Aussage verbunden wäre. Anders als für die Ermittlungsbehörde ist eine Vergewaltigung für das Opfer kein bloßer Tatbestand, den es emotionslos darstellen könnte, sondern eine komplexe und schmerzhafte Erfahrung unterschiedlicher Formen von Gewalt, die sich vor Fremden kaum in Worte fassen lassen. Fast überall auf der Welt wird die sexuelle Gewalt erst seit Ende des 20 . Jahrhunderts in der polizeilichen Ermittlungsarbeit als gesonderter Bereich verstanden, und erst seit relativ kurzer Zeit werden neue Modelle der juristischen Intervention und der klinisch-therapeutischen Betreuung entwickelt.
In diesem Buch bin ich den Widersprüchen nachgegangen, denen wir in der Globalisierung, dem Freihandel und dem freien Grenzverkehr gegenüberstehen; ich habe die Schwächen und Widersprüchlichkeiten einiger internationaler Gesetze aufgezeigt, die sich in verschiedenen Ländern kaum anwenden lassen; und ich habe auf die Probleme der Armutsmigration sowie der Suche nach Freiheit und Hoffnung in einigen Ländern und gesellschaftlichen Gruppen hingewiesen. Dies ist bestenfalls ein erster Schritt auf dem Weg zu einer vergleichenden Untersuchung des komplexen Themas Menschenhandel. Um Schwächen und Fehler der Analyse zu beseitigen, müssen neue Kategorien geschaffen werden. In den von der UNODC untersuchten Nationen, die den Menschenhandel gesetzlich verfolgen, schätzte die Polizei beispielsweise die Zahl der Opfer erstaunlich hoch ein, doch diese Zahlen sind nur die eine Seite der Medaille. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Prostitution illegal und nur in »Sonderzonen« zulässig, doch die verhafteten Frauen sind in der Regel nur das schwächste Glied der Ausbeutungskette. Die Zahl der verhafteten Klienten ist weltweit nach wie vor lächerlich niedrig, und die mächtigen Männer (und wenigen Frauen) der Zwangsprostitution kommen in den offiziellen Statistiken überhaupt nicht vor.
Es ist besorgniserregend, dass die Behörden das organisierte Verbrechen nach wie vor nicht ernst genug nehmen. Wenn ich allein von meinen Interviews mit Ermittlern in verschiedenen Ländern ausgehen würde, dann müsste ich zu dem Schluss kommen, dass die Drogenkartelle nichts mit dem Menschenhandel zu tun haben. Nichts ginge mehr an der Realität vorbei. In meinen übrigen Nachforschungen stieß ich überall – von der afghanischen Grenze über Kolumbien, Kuba und Mexiko bis in die Vereinigten Staaten – auf die Namen und Methoden der Drogenhändler, die sowohl im Schutz der Menschenschmuggler und Unternehmer als auch im Sklavenhandel selbst tätig waren.
Eine Lösung des Problems wird alles andere als einfach. Um einen angesehenen Unternehmer aus dem mexikanischen Monterrey oder einen Hotelbesitzer aus Punta Cana in der Dominikanischen Republik als Menschenhändler dingfest zu machen, müssen sich die Ermittler zunächst darüber im Klaren sein, dass diese hinter der Fassade ihrer Unternehmen Prostitution betreiben und dass sie dazu Frauen
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