Sklaverei
und nicht in den öffentlichen Räumen der Einwanderungsbehörde. Trotz meiner Erklärungen war Nacif extrem verärgert und drohte damit, den Präsidenten anzurufen, wenn ich ihm das Verfahren nicht erleichterte. Nach einer lautstarken Auseinandersetzung bot ich ihm noch einmal an, dass seine Begleiter, offenbar zwei Anwälte und ein Buchhalter, die Formulare in meinem Büro ausfüllen konnten.
Als Nacif sah, dass seine Drohungen nichts fruchteten, gab er seinen Begleitern entsprechende Anweisungen und schlug einen weniger aggressiven Ton an. Er sagte zu mir: »Ich verstehe Ihre Sorge. Sie haben Angst, dass die Chinesen abhauen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe sie sechs Monate auf dem Gelände eingesperrt und lasse sie für mich arbeiten. Sie haben keine Möglichkeit, das Gelände zu verlassen, und wir behalten ihre Papiere. Ich versichere Ihnen, da kommt keiner raus, und wir bringen sie vollzählig wieder nach China zurück.«
Die Tatsache, dass dieser Unternehmer – Geschäftspartner und Freund von Abgeordneten, Gouverneuren und sogar dem Präsidenten – sich die Freiheit herausnehmen konnte, einem Regierungsbeamten gegenüber die Methoden darzustellen, mit denen er seine chinesischen Arbeitnehmer behandelte, macht deutlich, wie effektiv die Beschützernetzwerke funktionieren. Im Jahr 2006 wurde der mexikanischen Presse der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Nacif und einem Geschäftspartner in den Vereinigten Staaten zugespielt, in dem Letzterer empfahl, die Arbeitnehmer in einer Kantine zu verpflegen. Daraufhin antwortete Nacif: »Sollen sie doch verhungern!« Die ausländischen Zeitarbeiter werden zu Sklaven eines Systems, das sie wie Vieh behandelt und ihre Rechte weder als Arbeitnehmer noch als Menschen respektiert.
Die Erfolge, die Gewerkschaften in fast allen Schwellenländern erringen konnten, werden durch die Freihandelsabkommen und die Migrationspolitik des Weltmarkts wieder zunichtegemacht. Ob in Vietnam, Mexiko oder Nicaragua, jedes Mal, wenn sich eine Gruppe von ausgebeuteten Fabrikarbeitern zusammenschließt, eine Gewerkschaft gründet und ihre Rechte einfordert, schließt der Eigentümer die Fabrik lieber, als sich den Gesetzen des jeweiligen Landes zu beugen.
Für die Unternehmen haben die Gesetzesverstöße keine Konsequenzen. Beispielsweise wurden am 28 . Mai 2004 ehemalige Mitarbeiter der mexikanischen Fertigungsbetriebe Matamoros Garment und Tarrant Mexico, die unter anderem für kanadische Textilunternehmen produzieren, nach Toronto eingeladen, um vor dem Arbeitsministerium auszusagen, das sich auch mit arbeitsrechtlichen Klagen aus den NAFTA -Staaten befasst. Doch es blieb bei einem Bericht über Menschenrechtsverstöße, die allein noch nicht ausreichen, um gegen die Unternehmen vorzugehen. Die Regierungen scheinen nicht den Mut aufzubringen, den Unternehmen eine bessere Behandlung ihrer Arbeitnehmer abzuverlangen. Ihnen ist nur daran gelegen, dass das Unternehmen weiter im eigenen Land investiert und Arbeitsplätze schafft – egal wie die Arbeitsbedingungen aussehen –, und unter allen Umständen zu verhindern, dass das Unternehmen seine Fertigungsstätte ins Ausland verlagert.
In seinen Ausführungen über die Marginalisierung der Migranten in der Globalisierung erklärt der frühere mexikanische Außenminister Jorge Castañeda die Komplexität und Schizophrenie dieser Politik:
Die Migrantenströme werden von der Globalisierung ausgeschlossen: Während unter allgemeinem Applaus die Grenzen für Waren- und Geldströme niedergerissen werden, bleiben sie für die Millionen von Migranten, die Jahr für Jahr ihr Leben riskieren oder verlieren, weil sie bessere Lebensumstände suchen, weiterhin verschlossen. Selbst die neuen Globalisierungsskeptiker, die heute mit einigen Jahren Verspätung einsehen, dass der grenzenlose und deregulierte internationale Kapitalfluss übers Ziel hinausgeschossen ist, erkennen nur in den seltensten Fällen, dass die strukturelle und individuelle Diskriminierung, mit der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer eingeschränkt wird, bestenfalls ein Widerspruch und schlimmstenfalls ein fataler Fehler ist.
Jedes Land hat seine Migrantenströme, und jeder sieht nur den Splitter im Auge des anderen und nicht den Balken im eigenen Auge. Aber alle Länder schließen gleichermaßen ihre Migranten aus, diskriminieren und misshandeln sie und beuten sie aus. Die ansonsten so solidarische, liberale und großzügige Europäische Union hat eine
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