Sklaverei
zehnjährigen Mädchen verheiratet haben, durch die Straßen von Gaza marschieren.
In Israel ist der Unterschied zwischen Orthodoxen und Liberalen eindeutiger, weshalb von dort auch viele Fälle der sexuellen Ausbeutung und der Zwangsprostitution vor allem nichtjüdischer Frauen und Mädchen bekannt sind. Der kulturelle Unterschied spielt eine entscheidende Rolle: Je konservativer und religiöser ein Land oder ein Segment der Gesellschaft ist, umso nachsichtiger gehen dessen Behörden mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Frauen anderer Rassen, Religionen oder Nationalitäten um.
In Palästina leugnen selbst die Menschenrechtsorganisationen das Problem der Versklavung und sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen – mit Ausnahme einer einzigen Gruppierung, die im Verborgenen arbeiten muss, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Diskriminierung und Frauenhass erschweren die Nachforschungen, zumal für Frauen; Polizei und Angehörige des Militärs zeigen wenig Interesse, Fragen zu »unmoralischen« Themen zu beantworten oder gar mit einer Journalistin zu sprechen, die nicht von der eigenen Seite kommt.
Vor dem Hintergrund des expandierenden globalen Sklavenmarktes müssen die Kinder in dieser Region besonders geschützt werden – beinahe wie in verschiedenen Ländern Afrikas oder Lateinamerikas, in denen Gesetzgeber und Ordnungshüter nichts zum Schutz der Bevölkerung oder der Kindheit unternehmen. Nach Angaben der UNICEF leiden in den besetzten Palästinensergebieten mehr als zehn Prozent aller Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung. Besonders ernst ist die Lage im Gazastreifen, wo schätzungsweise 50 000 der rund 800 000 Kinder und Jugendlichen unterernährt sind. Die Hälfte der Kinder leidet an Blutarmut, und 70 Prozent unter Mangel an Vitamin A. Rund zehn Prozent der Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren sind schwanger oder haben bereits Kinder. Dieser hohe Anteil an Schwangerschaften unter Minderjährigen ist ein beredter Beleg für die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dies war meine erste Spur: Wer sind die Aggressoren und wo leben sie?
Dank der Arbeit der UNICEF erhielten 50 000 Kinder eine psychosoziale Schulung für den Umgang mit Gewalt. Wenn ich in die Augen der Kinder sehe und höre, dass Hunderte schon vor dem zehnten Lebensjahr unter Panikattacken und Depressionen leiden, dann verstehe ich die Aufgabe von Frauen wie Rim Banna. Die Hälfte aller palästinensischen Schüler wurde früher oder später Zeuge, wie ihre Schule von israelischen Soldaten gestürmt wurde, und rund zehn Prozent mussten mitansehen, wie ein Lehrer oder eine Lehrerin ihrer Schule erschossen wurde. In einer gewaltigen Anstrengung hat UNICEF Tausende Erwachsene ausgebildet, die wiederum Kindern beibringen sollen, Antipersonenminen zu erkennen und zu umgehen.
Nach Auskunft von Zaide, einer Palästinenserin, die misshandelte Ehefrauen unterstützt und die Verschleppung von Mädchen anprangert, werden immer mehr Jugendliche Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und, wenngleich in geringerem Umfang, des Organhandels. Jemand, der seit frühester Kindheit mit posttraumatischen Belastungsstörungen lebt, kann weniger gut einschätzen, wie gefährlich die Situationen sind, auf die wir gleich zu sprechen kommen.
Die erste und einzige ernstzunehmende Untersuchung des Menschenhandels in der Region wurde von der Organisation Sawa (zu Deutsch etwa: Alle Frauen gemeinsam, heute und morgen) durchgeführt, einer Frauenorganisation, die Opfer der häuslichen Gewalt unterstützt. Dank des Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen ( UNIFEM ) konnte Sawa ihre Studie veröffentlichen. [2]
Ich folgte den von Sawa beschriebenen Routen der Menschenhändler. Vom Westjordanland nach Jerusalem, von Gaza nach Jerusalem und innerhalb des Westjordanlandes stieß ich auf die Route, auf der Frauen verschleppt und verkauft werden. Heute gibt es in den besetzten Gebieten 561 Militärsperren, mit denen die Bewegungsfreiheit von 2 , 4 Millionen Palästinensern eingeschränkt wird, was zur Folge hat, dass die Gemeinden vollkommen zersplittert sind. Jericho ist zum Beispiel derart in die Landschaft eingegraben, dass es nur eine Zufahrtsstraße gibt, die nicht »in den Abgrund« führt, wie die Frauen sagen. Wer sich zwischen Nablus, Ramala, Hebron und Jericho bewegen will, kann dies nur unter der strengen Kontrolle der Militärs tun.
Sawa untersuchte beispielsweise die Ereignisse in einem
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