Sklaverei
nie wiederzusehen.
Die meisten Fälle verlaufen weniger erfolgreich. Etwa 60 Prozent der Zwangsprostituierten werden bei ihrer Rückkehr von ihrer Familie verstoßen. Das kann an Vorurteilen der Familie liegen, aber auch daran, dass häufig ein Familienmitglied an der Verschleppung der jungen Frauen beteiligt war. Andererseits haben sich viele der Opfer an ein anderes Leben gewöhnt und fühlen sich zu Hause verurteilt und unterdrückt. Bedauerlicherweise sind sie darauf konditioniert, ihren Körper zu verkaufen, und meinen, die Prostitution sei die einzige Möglichkeit, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen.
Nachdem sie Opfer der sexuellen Ausbeutung geworden sind, werden viele Frauen nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat wie Aussätzige behandelt. Deshalb sehen sich in Asien wie in Europa viele Frauen gezwungen, in die örtliche Prostitution zurückzukehren. In dieser Umgebung fühlen sie sich zumindest nicht verurteilt, sagten mir einige Frauen, und dort begegneten sie den anderen Aussätzigen dieser Welt, den Sklavinnen einer Macht, die ihnen beigebracht hat, allen zu misstrauen und sich selbst als Ware zu begreifen. Sie gehören einer eigenen soziologischen Gruppe an, die die feministische Anthropologin Rita Laura Segato als »konsumierbare Frauen« bezeichnet.
Im Oktober 2008 erhielt ich die letzte E-Mail von Arely. Sie schrieb mir, dass sie zur Schule gehe und dass sie Sozialarbeiterin werden und in einer Betreuungsstätte wie der arbeiten wolle, in der sie in Mexiko Zuflucht fand. Danach meldete sie ihr Konto ab – ich hoffe, um ihr Leben neu zu ordnen und die Vergangenheit zu vergessen.
Neben dem Bildschirm meines Computers steht ein Foto von Arely, das kurz nach ihrer Ankunft in der Betreuungsstätte aufgenommen wurde. An ihrem weißen Hals sind deutlich die Würgemale erkennbar. Sie war in einen Sessel gesackt und vor Erschöpfung eingeschlafen. Ich spüre, wie ein Gefühl der Traurigkeit mein Büro durchflutet. Ich kann nur hoffen, dass dieses Buch in die Hände von Menschen kommt, denen das Leben dieser Frauen und Mädchen wirklich etwas bedeutet. Männer, die innehalten und sich selbst betrachten, ihre eigene Menschlichkeit entdecken und ihre eigenen Töchter, Schwestern, Nichten oder Enkelinnen erkennen. Menschen, die sich klarmachen, dass die jungen Frauen, deren Geschichten ich hier erzähle, ein sicheres, würdevolles und glückliches Leben verdient haben und es nicht hatten, weil es in dieser Welt nicht genug Menschen gibt, denen die Abschaffung der Sexsklaverei am Herzen liegt.
Tod eines Ermittlers
Eines Morgens öffnete ich die mexikanische Tageszeitung
La Jornada
und las einen Bericht über die vermeintliche Zerschlagung eines Rings von Menschenhändlern. Die Bande hatte über das Internet Kontakt zu Frauen aus unterschiedlichen Ländern aufgenommen, um sie nach Mexiko zu locken und dort sexuell auszubeuten und zur Prostitution zu zwingen. Nach Auskunft des Artikels hieß die Website divas.com. Sofort suchte ich in meinen Aufzeichnungen das Interview mit der jungen Frau aus Venezuela: Es war tatsächlich dieselbe Website.
Die Bundesstaatsanwaltschaft ermittle gegen Angehörige der Kriminalpolizei und der Einwanderungsbehörde wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Netzwerk, unter dessen Schutz divas.com von Mexiko aus Kontakte zu Verbrechersyndikaten in Osteuropa und Südamerika herstellen konnte, so der Artikel. Dank dieser Verbindungen sei divas.com zu einer der aktivsten Organisationen der Zuhälterei und des Menschenhandels im Land geworden, so die mexikanische Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens ( SIEDO ).
Die Website war im Oktober 2001 von Antonio Santoyo Cervantes (genannt El Sony) und José Antonio Villeda Martínez (genannt El Tony) angelegt worden. Der Auftritt wirkte professionell. Über diese Seite nahmen sie Kontakt zu Frauen in verschiedenen Ländern auf und boten ihnen Arbeitsverträge in Argentinien, Chile und Mexiko an. Innerhalb von fünf Jahren bauten Sony und Tony mit Unterstützung von Diana Patricia Quintana, Mercedes Luján und Susana Arzamendia über das Internet ein Prostitutionsnetzwerk auf und knüpften Verbindungen zu international agierenden Verbrechersyndikaten, die sich auf Prostitution und Menschenhandel spezialisierten.
Nach der Verhaftung zweier Personen im Februar und Juni 2007 wurde divas.com offenbar aufgelöst. Doch die Website wurde sofort unter der Adresse zonadivas.com wiederbelebt. Später schloss sich die
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