Sklaverei
sind die Frauen so besessen von diesem Thema? Ist es denn wirklich so schlimm?«, fragte mich ein mexikanischer Journalistenkollege, als ich ihm von meinen Recherchen berichtete. Seine Fragen veranlassten mich, dem Zusammenhang zwischen sexuellen Vorstellungen und der Konstruktion der Männlichkeit nachzugehen. Warum gibt es in aller Welt nur so wenige Männer, auch ansonsten verständnisvolle und sensible Männer, die die Bedeutung der sexuellen Gewalt nachvollziehen können?
Die Unterwerfung der Ureinwohner Afrikas, Asiens und Lateinamerikas verdeutlicht, wie die Kolonialisierung von Land, Frauen und schließlich ganzen Völkern funktioniert. Die Geschichte dieser Eroberungen sind voller Vergewaltigungen. Die Mestizisierung in aller Welt geht zu einem Gutteil auf die sexuelle Gewalt der Eroberer zurück. Die chilenische Feministin und Historikerin Carolina González erklärt, wie die sexuelle Gewalt zum Normalfall wurde:
Um das Fortbestehen kultureller Wesenszüge zu verstehen, die Gewalt gegen Frauen legitimieren, müssen wir uns mit den Machtkonzepten auseinandersetzen, die sie stützen. In diesem Zusammenhang spielt die Sexualität eine ganz entscheidende Rolle. Auch wenn wir längst wissen, dass die Sexualität ein Produkt der jeweiligen Kultur ist und im Laufe der Geschichte auf sehr unterschiedliche Weisen verstanden und gelebt wurde, wird sie nach wie vor als etwas Natur- oder Gottgegebenes aufgefasst, also etwas Normales, Universelles, Zeitloses und Unveränderbares.
Die sexuelle Gewalt, die überwiegend von Männern ausgeht und sich überwiegend gegen Frauen richtet, ist ein Beispiel für einen der brutalsten Widersprüche der männlichen Herrschaft. Einerseits ist eines der weiblichen Ideale der christlich-jüdischen Tradition die Keuschheit der Frau und ihre Unterordnung unter den Mann. Andererseits verlangt diese Tradition jedoch von den Männern, ihre Männlichkeit durch die Inbesitznahme von Frauen unter Beweis zu stellen: Die sexuellen Großtaten der Männer werden vor der Gemeinschaft zur Schau gestellt, um sie in ihrer Männlichkeit zu bestätigen.
Häufig wird sexuelle Gewalt gegen Frauen mit Verweis auf diese »Männlichkeit« gerechtfertigt. Es heißt, Männer seien von Natur aus darauf programmiert, ihrem Sexualtrieb nachzugeben, beziehungsweise sie seien nicht in der Lage, diesen im Zaum zu halten. Diese mangelnde Kontrolle wird zwar öffentlich verurteilt, doch in der Wahrnehmung werden die Grenzen zwischen sexueller Gewalt und einer einvernehmlichen Beziehung oft ganz bewusst verwischt, vor allem im Falle der Vergewaltigung durch Ehemänner oder Bekannte. So wird die Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und die sexuelle Gewalt im Besonderen gesellschaftlich toleriert, vor allem im privaten Bereich.
In einem weiteren Sinne wird die Vergewaltigung zwar abgelehnt, aber sie bleibt immer als Möglichkeit bestehen.
Anhand von zahlreichen Beispielen demonstriert González, wie Frauen in aller Welt von klein auf lernen, sich in bestimmter Weise zu kleiden und das Haus nur in männlicher Begleitung zu verlassen. Das entspricht dem, was Feministinnen im Irak und Iran über die Ganzkörperverschleierung schreiben, mit der ihr provozierender Körper verhüllt wird:
Unser Körper steht im Verdacht, die Gewalt zu provozieren, die gegen ihn ausgeübt wird. Die Erziehung zielt darauf, Frauen Ängste und Schuldgefühle einzuflößen; diese äußern sich wiederum in den »weiblichen« Gesten der Zurückhaltung, die wir uns von Kindheit an peinlichst zur Gewohnheit machen müssen.
Die Angst der Frauen vor Vergewaltigung ist kein Produkt der Phantasie, sondern ein Erfahrungswert. Würde weniger Gewalt gegen Frauen ausgeübt, wenn die Prostitution legal wäre? Die Tatsache, dass Polizeibeamte, Soziologen, Psychiater und Journalisten Tausende Stunden mit der Beantwortung dieser Frage zugebracht haben, ist ein Beleg dafür, wie verbreitet die Vorstellung ist, Vergewaltiger würden ihre Gewalt an einer Prostituierten statt an einer anderen Frau abreagieren. Die Historikerin González schreibt:
Damit wird die sexuelle Gewalt als ein Anrecht der Männer dargestellt, oder zumindest ein Anrecht einiger Männer, und zu einem Tribut, den wir Frauen der patriarchalen Gesellschaft zu entrichten haben. In der Vergangenheit wurde die sexuelle Gewalt ignoriert, obwohl sie ebenso deutliche Spuren auf den Körpern der Opfer hinterlassen hat wie beispielsweise die Folter. In heterosexistischen Gesellschaften, die
Weitere Kostenlose Bücher