Sklaverei
Beziehungen zwischen Männern und Frauen als Norm vorgeben und Frauen als solche herabsetzen, muss die Sexualität als ein Herrschaftssystem verstanden werden. Dieses System kommt vor allem in der zugleich allgegenwärtigen und unsichtbaren sexuellen Gewalt zum Ausdruck.
Macht und Männlichkeit
Die Kunden der Prostitution weisen bestimmte Gemeinsamkeiten auf. Beispielsweise setzen sie ihre Sexualität ein, um ihre Macht zu bestärken, Anerkennung unter Gleichgesinnten zu finden und sich als »echte Männer« zu beweisen. Viele weigern sich außerdem, die Veränderungen anzuerkennen, die der Feminismus erreicht hat. Das Recht der Frauen, eigene Entscheidungen zu treffen – etwa darüber, wann, wie und ob sie mit einem Mann Verkehr haben wollen –, bedeutet für Männer in vielen Ländern einen Affront und weckt die irrige Befürchtung, den Frauen ginge es nur darum, die Männer zu beherrschen. In Reaktion auf diese falsche Wahrnehmung üben Männer vermehrt Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Sexgewerbe aus, da sie meinen, auf diese Weise ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen. In seinem Artikel »Machismo en Movimiento« (auf Deutsch etwa »Machismo in Bewegung«) – einer Untersuchung über die Wertvorstellungen von peruanischen Fernfahrern – zeigt der Anthropologe Ralph Bolton, dass sich der Machismo vor allem auf Macht, Neid, Selbstverherrlichung und Sexualität gründet. [13]
Der Machismo existiert in aller Welt, nicht nur in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die meisten der Männer, denen ich im Laufe meines bisherigen Lebens begegnet bin oder mit denen ich auf meinen Reisen in die verschiedensten Länder gesprochen habe, scheinen gefangen in einer Kultur der Männlichkeit, die sie selbst nicht hinterfragen. Doch auch die Meinungsmacher und Informationsmedien unserer Gesellschaft unternehmen nichts, um diese Kultur in Frage zu stellen. Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten von Kino und Fernsehen bestätigen den Machismo und die mal mehr, mal weniger sichtbare sexuelle Gewalt. Selbst die Universitäten sind offenbar nicht in der Lage, ihre patriarchalen Wertvorstellungen zu hinterfragen, mit denen sie die vorherrschenden geschlechterspezifischen Rollen und Verhaltensweisen zementieren.
Die intellektuellen und politischen Eliten stellen einen Konsens her, der keinen Widerspruch zulässt. Auf diese Weise übernehmen die unterschiedlichen Kulturen die Wertvorstellungen der Mächtigen und nehmen sie in ihre überlieferten Normen auf. Nur so kann ich es mir erklären, dass auf den Philippinen eine Generation von 12 - bis 16 -jährigen Mädchen heranwächst – Töchter von Frauen, die vor 30 Jahren in einem Kolonialisierungsprozess zur Prostitution gezwungen wurden –, für die es vollkommen selbstverständlich ist, dass Frauen vergewaltigt und verkauft werden. Oder dass die Mädchen, die ich in Vietnam interviewt habe – 23 der rund 200 000 Sexsklavinnen, die heute in diesem Land leben –, keine andere Möglichkeit sehen, ihre Familien zu ernähren, als sich für ein paar Dollar an einen holländischen Zuhälter zu verkaufen. Die Mädchen kommen nur nach Hause, um dort zu schlafen, und werden morgens von ihren spielsüchtigen Eltern wieder in das Bordell geschickt, in der Hoffnung, dass sie abends ein bisschen Geld mitbringen. Der Zuhälter weiß, dass die Mädchen gar keine andere Wahl haben, und muss sich deshalb nicht die Mühe machen, ihnen Essen oder eine Schlafgelegenheit zur Verfügung zu stellen oder sie einzusperren. Seine Verbündeten sind die Armut und eine Kultur, in der die Prostitution und die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen normal sind, eine Kultur, die mit dem Vietnamkrieg begann und die den Abzug der amerikanischen Soldaten überdauerte.
In den Armeen werden Soldaten dazu ausgebildet, keine Gefühle zu zeigen und keine »Schwächlinge«, »Schwuchteln« oder »Weiber« zu sein. Dauernd müssen sie unter Beweis stellen, dass sie keine Mädchen sind, sondern echte Männer. Seit in verschiedenen Ländern auch Frauen Dienst an der Waffe leisten – was in konservativen Kreisen heftig kritisiert wird –, werden diese denselben Praktiken unterworfen: Sie müssen zu Männern werden, um gute Soldatinnen zu sein. Doch wie die zahlreichen Vergewaltigungen von weiblichen Angehörigen der US -amerikanischen Marine, Luftwaffe und Armee durch ihre männlichen Kollegen zeigen, gelten sie in einem Umfeld, das durch Machismo, Sexismus, Gewalt und Gefühllosigkeit geprägt
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