Sklavin des Herzens
zurückkehrten, lag Murad tot auf dem Boden.«
»Falls es ein Mord war«, meinte Omar, »wurde er nur inszeniert, um Sie aus dem Palast zu locken. Es gibt keinen anderen Grund, den Jungen zu töten.«
»Omar …«
»Aber, Jamil, er hat recht«, stellte Chantelle fest.
»Niemand kann das sicher wissen …«
»Hören Sie mir jetzt einmal zu«, sagte sie erzürnt. »Die Frau fragte Ali: ›Was ist mit dem Jungen?‹, und als er antwortete, befahl sie: ›Geh und arrangiere es. Nichts sonst konnte ihn aus dem Palast locken, aber vielleicht bringt ihn das vor die Tür. Dann möchte ich aber Resultate sehen. Keine Stümperei mehr, oder ich nehme dir die Sache aus der Hand. Und wage nicht, mich zu hintergehen, Ali.‹ Die beiden entfernten sich dann, und ich konnte nichts mehr verstehen.«
Jamil wechselte einen langen Blick mit Omar. Der alte Mann lächelte nun. Jamils Gesicht zeigte einen halb amüsierten, halb bekümmerten Ausdruck, der Chantelle verwirrte.
»Es scheint, daß ›unser Freund‹ eine sinnlose Reise nach Istanbul unternommen hat«, bemerkte Omar.
»Es sieht tatsächlich so aus«, stimmte Jamil zu, ehe seine Smaragdaugen sich wieder auf Chantelle richteten. »Wer war die Frau, Haar?«
Sie schnitt eine Grimasse. »Ich weiß es nicht.«
»Aber du hast sie gesehen?«
»Nein, die Tür war halb geschlossen.«
»Verdammt!«
»Aber ich denke, ich würde ihre Stimme erkennen, wenn ich sie wieder hören würde.«
»Das ist immerhin etwas. Und wie viele Eunuchen tragen den Namen Ali?«
»Dutzende, unglücklicherweise«, erwiderte Omar.
»Dann lege ich es in Ihre fähigen Hände, die Anzahl bis zu unserem Schuldigen zu dezimieren. Und ich glaube, damit ist dieses Thema für heute beendet.«
Omar nickte einvernehmlich, aber dann fragte er noch: »Sie gehen doch nicht zu dem Begräbnis?«
»Nein. Richten Sie es so ein, daß ich dem Verstorbenen hier die letzte Ehre erweisen kann.«
Da dies Omars ursprünglicher Vorschlag gewesen war, verließ er den Raum mit einem äußerst selbstgefälligen Gesicht. Jamil verschwendete keine weitere Zeit und zog Chantelle in die Arme.
»Danke«, sagte er ernst. »Ohne deine Hilfe würden wir weiterhin im dunkeln tappen und den falschen Mann verdächtigen. Willst du uns noch einmal helfen und wegen der Stimme aufpassen?«
»Natürlich. Aber, Jamil, warum könnte eine deiner Frauen dir den Tod wünschen?«
Er zuckte die Schultern. »Wer ahnt, was in einer weiblichen Seele vorgeht?«
Chantelle schnaubte. »Dasselbe könnte ich von einer Männerseele sagen.«
»Aber Frauen sind viel widersprüchlicher und undurchschaubarer … Da wir gerade von Frauen reden …« Er zog sie noch enger an sich und preßte seine Hüften an ihre. »Ich habe dich vermißt.«
Sie akzeptierte dankbar den Themenwechsel. »Es war nur eine Nacht …«
»Und zwei Tage. Das müssen wir nachholen.«
»Müssen wir das?«
»Wenn du nicht zu schwach bist.«
»Sehe ich schwach aus?«
Er lächelte ihr zu. »Nur um sicher zu sein, falls du den Boden unter den Füßen verlierst.«
Und sie verlor ihn unter den Füßen, denn Derek hob sie hoch und trug sie sofort in sein Bett.
42
Wochen vergingen, doch Chantelle hörte diese ärgerliche Stimme nicht wieder. Jamil hielt sie auf dem laufenden, was seine Fortschritte betraf, doch auch er war an einem toten Punkt angelangt. Die Anzahl der verdächtigen Männer, die Ali hießen, hatte sich auf fünf reduziert, und diese fünf wurden ständig beobachtet -bisher ohne Erfolg. Da Jamil eine Folterung verbot, entwickelte sich die Angelegenheit zu einem Wartespiel, bis einer einen Fehler begehen würde.
Auch die Frauen, denen diese Eunuchen gehörten, wurden bewacht. Das Geld für die Finanzierung der Angriffe wurde ebenfalls in Betracht gezogen, und welche Haremsdame genügend begehrt war, um ein beträchtliches Vermögen angehäuft zu haben. Das war natürlich kein entscheidender Faktor, denn die Diebstähle im Harem hatten zugenommen, und der entwendete Schmuck entsprach inzwischen einem unermeßlichen Schatz.
Nun lag es wirklich an Chantelle, und dieses Wissen machte sie nervös. Jamil fragte sie jede Nacht, wenn sie bei ihm war, und das allein frustrierte sie, daß sie ihm nichts berichten konnte.
Von den fünf verdächtigen Frauen kannte Chantelle nur zwei. Die eine war eine gegenwärtige Favoritin namens Sadira, die in einem knappen Monat ihre Niederkunft erwartete. Chantelle traute ihr keine anderen Pläne zu als die einer glücklichen Zukunft
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