Sklavin des Herzens
Chantelle hochblicken. »Abendessen?«
»Wenn Sie mögen«, sagte er sanft.
Er starrte auf ihren Mund. Sein Daumen zeichnete die Linie ihrer Unterlippe nach. Dann versenkte sich sein Blick in ihren. Smaragdgrünes Feuer – darin lag alles andere als Gleichgültigkeit.
»Abendessen wäre schön … Ich meine wunderbar … Ich bin tatsächlich am Verhungern«, beendete sie den Satz und hoffte, die letzte Behauptung habe ehrlich geklungen.
Er lachte, und das erstaunte sie. Der Laut war tief und angenehm, und sie stellte sich vor, seinen Widerhall in ihrer eigenen Brust zu spüren.
»Sie sind so durchschaubar, Haar. Dachten Sie, ich würde Sie gleich, nachdem Sie hereingekommen sind, vergewaltigen?«
Genau, aber das sagte sie nicht. Sie brauchte es auch nicht zu sagen. Die Röte stieg ihr diesmal bis zum Haaransatz und war trotz der gesenkten Stirn zu sehen.
»Diese Scheu ist erlaubt, aber Ihre Augen sind wunderschön, kleiner Mond. Ich möchte sie anschauen.«
Du bekommst wohl alles, was du haben willst, dachte sie voller Groll, dann schlug sie die Vorsicht in den Wind und sprach es auf englisch aus.
Seine Smaragdaugen verengten sich kaum merklich. »Englisch wird hier nicht akzeptiert, Haar. Ihr Französisch ist hervorragend, aber nicht alle können es verstehen. Sie dürfen es benützen, wenn Sie bei mir sind, aber sonst werden Sie die Mischung aus Türkisch und Arabisch verwenden, die im Palast als Allgemeinsprache gilt. Nur diese Sprache dürfen Sie sprechen.«
Sie erwiderte nichts. Was hätte sie auch sagen können? Das war gleichbedeutend mit einem Befehl. Und sie erkannte eines: Seine Mutter mochte Engländerin sein, aber sie hatte ihn ihre Sprache nicht gelehrt. Das bewies er mit seinen nächsten Worten.
»Was heißt das, was Sie eben zu mir sagten?«
Für den Bruchteil einer Sekunde zog sie eine Lüge in Erwägung. Doch seine Hand griff unter ihr Kinn, zwang ihren Kopf in die Höhe, zwang sie, ihn anzusehen. Sie entschied sich für die Wahrheit und hoffte, er würde sich genügend darüber ärgern, um seine Finger zurückzuziehen.
»Ich fragte, ob Sie alles bekommen, was Sie wollen.«
Er nahm die Hand nicht von ihr, die andere Hand kam hinzu, und er umfaßte sanft ihr Gesicht. Offenbar war er nicht beleidigt, aber der Selbsterhaltungstrieb hatte diesmal auch dafür gesorgt, daß Chantelle sich jeden Spottes enthielt.
»Natürlich«, entgegnete er heiser. »Alles, Haar. Warum sollte es anders sein, nachdem jeder Gegenstand und jeder Mensch hier – Sie inbegriffen – mir gehört?«
Sie versuchte sich loszureißen, doch er hielt sie fest und kam immer näher, bis seine Hüfte sie berührte. Ihre Nasenlöcher weiteten sich bei seinem Duft – Moschus und Sandelholz – ein betörender Duft!
Sie blinzelte. Guter Gott, der Mann konnte hypnotisieren -diese dunkelgrünen Augen so nahe, sein Atem warm an ihren Lippen. Sie stöhnte – und wurde sofort losgelassen.
»Wir werden hier essen«, sagte er und trat einen Schritt zurück, als sei er nicht nahe daran gewesen, sie zu küssen, und sie nicht nahe daran, sich diesen Kuß zu wünschen.
Als sie ihm folgte, sah sie, daß das »Hier« ein eingefriedeter Garten direkt vor dem Raum war. Die Sonne war schon hinter den Mauern verschwunden, die das kleine Paradies umgaben, aber sie warf ihre Strahlen noch leuchtend gegen den Palast, der sich über ihren Köpfen erhob und den Grund in Kühle und Schatten tauchte.
Tulpen, Rosen und Nelken wuchsen üppig in malerischen kleinen Gruppierungen. Ein einziger Baum, unter dem eine Bank stand, spendete noch kühleren Schatten. Ein Springbrunnen in einer Ecke ergoß sich wie ein Wasserfall in einen Fischteich aus kleinen blauen Kacheln, die den Kontrast zu den großen orangefarbenen Fischen besonders betonten.
Riesige viereckige Kissen waren schon um einen gravierten Messingtisch, der mitten im Gras thronte, verteilt worden. Es war ein friedliches Fleckchen, geradezu romantisch, und der entfernte Gedanke an ein englisches Picknick wirkte entspannend.
Chantelle ließ sich zu einem der Kissen führen, wartete dann aber, auf welchem er sich niederließ, um den Abstand zwischen ihm und ihr möglichst zu vergrößern, doch sie hätte sich hierüber keine Gedanken machen müssen. Der Pascha ging um den niedrigen Tisch herum und wählte den Platz direkt gegenüber von Chantelle.
»Was denken Sie?« fragte er, als die ersten Essenstabletts aufgetragen wurden.
»Ich denke, daß es gleichgültig gewesen wäre, ob ich
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