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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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sein können. Erst als das Fahrzeug leise davonfuhr, warf er einen Blick zu der Tanztruppe auf dem Bildschirm hinauf, und etwas geschah mit den Linien um seine Augen. Sevgi hielt es für Ekel, aber sie hätte nicht mit absoluter Sicherheit sagen können, auf was oder wen er gerichtet war, und sie überlegte, ob Marsalis beides gemeint haben könnte.
     
    Also kehrten sie in die Wohnung zurück, und darin lag so eine Art Potenzial, das sich aufbaute, ein Gefühl, sie hätten dort etwas zurückgelassen, das sie einsammeln müssten. Sie gingen zu Fuß, weil es draußen nicht richtig kalt war, und es war auch nicht spät, und vielleicht benötigten sie beide die Zeit und den Himmel. Sie verliefen sich, aber das war ihnen ziemlich gleichgültig, und anstelle das Straßensuch-Holo im Schlüsseltab zu benutzen, orientierten sie sich vage anhand der Wasserlinie, folgten ihr so dicht wie möglich, bis sie schließlich am anderen Ende der Moda Caddesi herauskamen und ein leichtes, jedoch stetiges Gefälle sie zum Wohnblock von COLIN zurückbrachte. Der Klebstoff um Carls Verletzung juckte in der kühlen Luft.
    An einem Punkt stellte ihm Ertekin die offensichtliche Frage.
    »Wann haben Sie gewusst, dass er es bei Ihnen versuchen würde?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Als er’s mir sagte. Ein paar Minuten, nachdem Sie und Battal uns verlassen hatten.«
    »Und das hat Sie nicht genügend beunruhigt, um uns zurückzurufen?«
    »Wenn ich das getan hätte, wäre er sofort über mich hergefallen. Ohne jegliche Ankündigung.«
    Eine Weile gingen sie schweigend dahin. Die Wohnblocks von Fenerbahce ragten links und rechts in die Höhe, an Balkonen hingen Ranken, und von einigen tropfte immer noch verstohlen Wasser herab, weil sie vor kurzem gegossen worden waren. Auf einer kahlen Wand hatte ein Künstler das gewaltige Abbild Atatürks gemalt, mit scharfen Augen, geraden Brauen und in befehlshaberischer Haltung, der Kopf wie ein Heiligenschein umgeben von den Worten, die Carl häufig genug bei anderen Besuchen gesehen hatte, dass er ihre Bedeutung kannte: Ne Mutlu Türküm Diyene – Wie glücklich ich bin, Türke zu sein. Jemand anderer war, vielleicht mit Geckohandschuhen, hinaufgeklettert und hatte eine Sprechblase mit zackigen schwarzen türkischen Buchstaben gefüllt, die er nicht lesen konnte.
    »Was steht da oben?«, fragte er sie.
    Sie suchte nach einer Übersetzung. »Äh, männlicher Haarausfall – ein größeres Problem, als du denkst!«
    Er starrte zum zurückweichenden Haaransatz des Nationalhelden auf und grinste.
    »Nicht schlecht. Ich hatte etwas Islamistisches erwartet.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Fundamentalisten haben nicht viel Sinn für Humor. Sie hätten einfach das Gesicht abgekratzt.«
    »Und Sie?«
    »Ist nicht mein Land«, erwiderte sie ausdruckslos.
    Auf einem Balkon im zweiten Stockwerk vor ihnen stand ein Mann inmitten von Pfeifenrauch und lehnte sich auf die Straße hinaus. Carl begegnete seinem Blick, als sie darunter hergingen, und der alte Mann nickte ungezwungen einen Gruß, aber es war klar, dass sein Blick größtenteils der Frau an Carls Seite galt. Carl schaute neben sich, bekam die Linie von Ertekins Nase und Kinn zu sehen, das strubbelige Haar. Sein Blick glitt hinab zu ihren unmissverständlich schwellenden Brüsten, die ihre Jacke an den Kanten zur Seite stießen.
    »Haben Sie also etwas Nützliches aus Névant rausbekommen?« Er wusste nicht genau, ob sie ihn beim Hinschauen ertappt hatte, aber in ihrer Stimme lag etwas Hastiges. Er ließ den Blick wieder auf dem Pflaster vor sich ruhen.
    »Weiß nicht genau«, erwiderte er vorsichtig. »Ich glaube, wir müssen uns mal mit Manco Bambaren unterhalten.«
    »In Peru?«
    »Na ja, er wird sich wohl kaum eilig nach New York aufmachen, wenn wir ihn einladen. Also, ja, wir müssen hin. Abgesehen von allem anderen wird es seinem Gefühl der Angemessenheit entsprechen. Es ist sein Grund und Boden.«
    »Es ist auch Ihr Grund und Boden, nicht wahr?« Er glaubte, sie lächeln zu hören. »Planen Sie, im Altiplano das Weite zu suchen?«
    »Wenn ich das Weite suchen wollte, Ertekin, hätte ich es schon vor einer Weile tun können.«
    »Ich weiß«, meinte sie. »Ich habe einen Witz gemacht.«
    »Oh.«
    Sie erreichten das Ende des Blocks und wandten sich im Einklang nach links, um eine offensichtliche Sackgasse zu umgehen. Er wusste nicht so recht, ob er ihr folgte oder umgekehrt. Hundert Meter weiter endete die Straße an einem nackten Steilhang mit

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