Skorpion
und du weißt es.«
»Jemand hat letzte Nacht versucht, uns umzubringen.«
»Ja, und du hast selbst zugegeben, dass Jurgens nichts davon gewusst hat.«
»Ich habe gesagt, sie schien nichts davon zu wissen.«
»Wie sie Merrin zu kennen schien, meinst du?« Wieder sah sie ihn an, diesmal jedoch ohne Feindseligkeit. Sie wirkte lediglich erschöpft. »Sieh mal, Marsalis, beides zugleich kannst du nicht haben. Entweder vertrauen wir deinen Instinkten oder nicht.«
»Und du vertraust ihnen nicht?«
Sie seufzte. »Ich vertraue dem hier nicht.«
»Was soll das heißen, dem hier?«
»Ich meine, diesem verdammten Abtauchen auf die intuitive Ebene die ganze Zeit. Dieses Sich-wichtig-Machen, das Anpöbeln von Leuten und dieses Drängeln und Stoßen, bis etwas passiert und wir gegen jemand Neuen kämpfen müssen. Konfrontation, Eskalation, verdammter Tod oder Ruhm.« Sie gestikulierte hilflos. »Ich meine, vielleicht hat das damals bei Projekt Gesetzeshüter funktioniert, aber hier bringt’s das nicht mehr. Das ist eine Untersuchung, keine Schlägerei.«
»Osprey.«
»Was?«
»Osprey. Ich bin kein Amerikaner. Ich war niemals Teil des Projekts Gesetzeshüter.« Er runzelte die Stirn, das Aufflackern einer Erinnerung, zu schwach im Augenblick, um es zurückzuholen. »Und noch etwas bin ich nicht, Ertekin, und das solltest du im Hinterkopf behalten. Ich bin nicht Ethan.«
Einen Augenblick lang glaubte er, sie werde explodieren, wie sie es in der Nacht zuvor auf dem Highway getan hatte, bei den Leichen, die über den Jeep drapiert lagen, nachdem Motor und Scheinwerfer ausgestellt worden waren. Aber sie beschattete sich bloß die Augen und wandte sich ab.
»Ich weiß, wer du bist«, sagte sie leise.
Sie wechselten kein Wort mehr, bis sie am Flughafen eingetroffen waren.
Sie waren noch ein paar Minuten zu früh für den Flug nach Lima dran, erreichten die Hauptstadt rechtzeitig und bestätigten ihre Plätze für den Suborbflug nach Oakland eine Stunde, bevor er abhob.
Zeit totzuschlagen.
Inmitten des Trubels am Terminal von Lima mit seinem Gewölbedach betrachtete sich Sevgi in der Stille eines Waschraums im Spiegel. Sie starrte ihr Bild eine Zeitspanne an, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, zuckte daraufhin mit den Schultern und stopfte sich die Synkapseln eine nach der anderen in den Mund.
Schluckte sie herunter, ohne nachzuspülen, und verzog dabei das Gesicht.
33
Revier Alcatraz. Spezialeinheit.
Bei ihrer Ankunft hatte die Wirkung der Superfunktionskapseln bereits mit aller Heftigkeit eingesetzt. Ihre Gefühle gehörten wieder ihr, vakuumdicht verpackt in dem Stahlkanister, den sie dafür hergestellt hatte. Eine eisige Losgelöstheit stärkte Konzentration und Aufmerksamkeit’ auf die Einzelheiten jenseits des Spiegels.
Noch ein verdammter Spiegel, fiel ihr auf.
Diesmal saß sie allerdings hinter der Scheibe und beobachtete die Szenerie in dem Vernehmungsraum auf der anderen Seite. Coyle und Rovayo sowie eine Frau, die sich breitbeinig auf dem Stuhl lümmelte und körperbetontes Schwarz unter einer schweren Lederjacke trug. Sie hatte sich nicht die Mühe gegeben, sie auszuziehen, während sie die Vernehmungsbeamten mit energischer, kaugummikauender Abneigung betrachtete. Sie war jung, nicht wesentlich über zwanzig, und das höhnische Grinsen passte gut zu ihrem kantigen slawischen Gesicht. Das Übrige war reine Rim-Mischung – kurzes blondes Haar, gestutzt zu einem klassischen Djakarta-Fransenschnitt, der ihr nicht wirklich stand, purpurfarbene chinesische Schriftzeichen zierten das Bein ihres Einteilers von der Hüfte bis zum Knöchel, eine blaue, gekräuselte Tätowierung im Maori-Stil zog sich über ihre linke Schläfe. Sie sprach, wie durch die Lautsprecher auf der Beobachter-Galerie zu hören war, mit schwerem Akzent.
»Hört mal, was wollt ihr eigentlich von mir, zum Teufel? Auf alles, was ihr fragt, kriegt ihr ’ne Antwort. Ich muss jetzt unbedingt wo sein.« Sie beugte sich über den Tisch. »Wisst ihr, wenn ich heute Nacht nicht bei der Schicht aufkreuze, krieg ich nichts bezahlt. Das ist nicht so wie bei euch im Öffentlichen.«
»Zdena Tovbina«, sagte Norton. »Angestellt bei Filigree Steel. Sie haben sie aus dem Videoarchiv von dem Block, wo dieser Bursche gewohnt hat. Anscheinend ist sie ihn suchen gegangen, als er zwei Schichten hintereinander nicht bei der Arbeit erschienen ist.«
»Nett von ihr. Eine Schande, dass es Filigree Steel nicht in den Sinn gekommen ist,
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