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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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drehte sich und schlug seinem Bruder auf die Seite des Gesichts. Das erste Mal seit mehr als einem Jahr, dass er sein Training als Vollzugsbeamter umsetzte. Es fühlte sich ungewohnt an, eingerostet, aber ebenso unerwartet fühlte es sich auch gut an. Der Hieb traf heftig, brachte Jeff zu Fall, halb auf das Sofa, halb auf den Fußboden. Norton packte ihn beim Kragen, die geballte Faust erneut gehoben.
    Und hielt inne.
    Nein. Du bist nicht Carl Marsalis.
    Die Faust langsam lösend, zur Seite fallend. Er ließ den Kragen los. Überwältigender Drang, sich zu schütteln, wie ein klatschnasser Hund. Stattdessen trat er beiseite, lehnte sich gegen die Schreibtischkante.
    »Das wird hart für sie werden«, sagte er, immer noch unregelmäßig atmend. »Für Megan und die Kinder. Aber mach dir keine Sorgen. Wenn sie dich nach Quentin 2 schicken für das, was du hier getan hast, werde ich dafür sorgen, dass es ihr an nichts fehlt. Ich werde mich um sie kümmern.«
    Ein leises, krächzendes Geheul entstieg der Kehle seines Bruders, als er hätte er Glasscherben verschluckt. Er stützte sich am Sofa ab. Norton spürte eine besonders tröstliche Ruhe, die sich ihm auf die Schultern legte. Sein Atem ging leichter.
    »Wir kommen gut miteinander aus, Jeff. Sie lacht in meiner Gegenwart. Wir werden uns schon was einfallen lassen.«
    »Arschloch!« Herausgespuckt wie Blut.
    An der Tür ein zaghaftes Pochen. Überrascht sah Tom Norton auf.
    »Ja?«
    Die Tür ging auf, und die stämmige Asiatin spähte herein. »Mr Norton, sind Sie…?«
    Mit großen Augen starrte sie auf ihren Chef.
    »Alles okay«, sagte Norton eilig. »Ich bin Jeffs Bruder, Tom. Jeff hat vor kurzem ziemlich unter Stress gestanden. Das wird Ihnen bestimmt aufgefallen sein. Es ist, äh, es ist ziemlich schlimm geworden.«
    »Ich, äh…«
    »Er muss jetzt wirklich allein sein, nur mit seiner Familie, wissen Sie. Wir haben schon angerufen. Wenn Sie bitte…«
    »Ja, natürlich, äh…« Sie schaute zu Jeff hinüber, der auf dem Fußboden saß, den Rücken gegen das Sofa gelehnt. Blutbeflecktes Tuch in der Nase, das Gesicht tränenverschmiert, eine offene Flasche auf dem Tisch vor ihm. »Mr Norton, wenn ich irgendetwas tun kann…«
    Jeff Norton starrte sie an.
    »Schon okay«, sagte er tonlos. »Alles kommt in Ordnung. Könnten Sie meinem Bruder bitte zeigen, wo wir unsere medizinischen Aufzeichnungen aus der Carmelklinik aufbewahren?«
    »Ja, natürlich.« Erfüllt von einer handfesten Aufgabe, schien Lisa sichtlich stärker zu werden. »Sie sind sich völlig sicher, dass…«
    Jeff brachte den Anflug eines Lächelns zustande. »Sehr sicher, Lisa.«
    Er wandte sich zu seinem Bruder um, und in seiner Stimme lag plötzlich ein merkwürdiger Triumph. »Geh los, kleiner Bruder! Du möchtest etwas sehen, das ich vor deinem Dreizehner-Freund versteckt habe?«
    Lisa zappelte unschlüssig auf der Türschwelle. Norton starrte Jeff an.
    »Das geht um Onbekend?«
    »Geh’s dir einfach ansehen, Tom.« Er sah Norton zögern und kicherte. »Was soll ich denn tun, mich zum Flughafen aufmachen, während du weg bist? Ich meine es ernst, geh’s dir ansehen. Da ist was, das habe ich nur für dich aufbewahrt. Es wird dir sehr gefallen.«
    »Es ist, äh.« Lisa winkte den Korridor hinab. »Hier entlang.«
    »Jeff, wenn du etwas anderes über Onbekend gewusst hast, solltest du…«
    »Sieh’s dir einfach an, verdammt, los, geh schon!«
    Also ging er los, ließ die Tür offen stehen und folgte Lisa hinaus auf den Korridor. Auf der Schwelle hielt er inne und drehte sich um, sah seinen Bruder hart an und zeigte mit dem Finger auf ihn.
    »Du bleibst genau da.«
    Jeff schnaubte, verdrehte die Augen und griff nach der Flasche.
    Den verwinkelten Korridor hinter der stoischen Lisa her, wobei ihm nach wie vor alles durch den Kopf schwirrte, was er immer noch unterzubringen versuchte. Er überlegte flüchtig, ob Marsalis nicht auf die Straße hinausgegangen war, um einerseits den Kopf klarzubekommen, wie auch andererseits ungestört RimSich anrufen zu können.
    Sie hatten die Tür mit der Aufschrift Carmel-Street-Klinik fast erreicht, als hinter ihnen der einzelne Schuss ertönte, so trocken und undramatisch, dass er ihn zunächst mit dem Geräusch der zuschlagenden Tür von Jeffs Büro verwechselte, jenem Ausgang, den zu schließen er sich nicht die Mühe gemacht hatte.

 
51
     
     
    Joaquin Ortiz lag in einer überwachten Rekonvaleszenzsuite in den neuen, in Nanobauweise errichteten oberen

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