Skorpion
Menschen. Aber wenn ihr euch entschließt, etwas oder jemanden in Besitz zu nehmen, wenn ihr etwas oder jemanden als euer betrachtet…«
»Ja, dann«, beendete Carl. »Zählt sonst nichts mehr.«
Er begegnete dem Blick des Direktors von COLIN, sah, wie dessen Augen zur Seite zuckten.
»Ich furchte«, sagte Ortiz zitternd, »dass die Angelegenheiten während meiner… meiner Abwesenheit von der Brücke ziemlich außer Kontrolle geraten sind. Ihre Einmischung, Onbekend, andere verändernde Faktoren. Wäre ich nicht so unerwartet von der Handhabung der Operation entfernt worden, hätten sich die Dinge vielleicht nicht dermaßen ineinander verwirrt. Das bedauere ich wahrhaftig, das müssen Sie mir glauben.«
»Sie hätten dennoch über zwanzig Männer und Frauen ermordet«, sagte Norton heftig. »Nur um Ihren eigenen verdammten politischen Hals aus der Schlinge zu ziehen.«
Ortiz schüttelte den Kopf. »Nein, Tom, das…«
»Gebrauchen Sie meinen Namen nicht, als ob wir Freunde wären, Sie Haufen Scheiße!«
Carl legte Norton eine Hand auf den Arm. »Nicht aufregen, Tom. Wir möchten doch nicht, dass die Sicherheitsleute die Tür wegen uns aufbrechen.«
Der COLIN-Angestellte entzog sich ihm ruckartig und sah ihn an, als ob er eine ansteckende Krankheit hätte. Ortiz hatte wieder das Wort ergriffen.
»… ging nicht um mich persönlich. Das müssen Sie verstehen. Ich bin ein wohlhabender Mann, und ich habe über andere Kanäle Zugriff auf noch größeren Reichtum, falls nötig. Ich hätte es mir leisten können, Ihren Bruder und seinen Komplizen zu bezahlen…«
Norton war verblüfft. »Sie haben es gewusst? Sie haben gewusst, dass er mit drinsteckte?«
»Ich hatte den Verdacht.« Ortiz hustete ein wenig, zusammengekauert im Rollstuhl. Er räusperte sich. »Seine Geschichte wirkte recht schwach, ich hielt es für wahrscheinlich, dass er mit drinsteckte, aber… wir waren einmal enge Verbündete, Tom. Freunde sogar. Sie müssen wissen, dass ich Sie auf seine Bitte hin befördert habe, genau so, wie ich ihn vor zwanzig Jahren zum Kommando Skorpion befördert hatte.«
Norton sprach jetzt durch die zusammengebissenen Zähne. »Soll ich Ihnen jetzt etwa auch noch dankbar sein?«
»Nein, natürlich nicht. Das habe ich damit nicht sagen wollen. Hören Sie mir bitte zu! Ich hatte Jeff in Verdacht, ich war mir nicht völlig sicher. Aber ich wusste, dass Jeff einknicken würde, wenn ich Onbekend auf die anderen loslassen würde, wer sie auch sein mochten. Wenn er mit drinsteckte, würde er mir keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Selbst in den alten Tagen, sogar beim Kommando Skorpion, war er ein Logistikmanager, ein Vereinfacher. Kein Beteiligter, kein Killer. Für so etwas hatte Jeff nie den Mumm.«
Norton grinste wild auf ihn herab. »Haben Sie aber eine Ahnung! Mein Bruder hat diese Skater losgeschickt, die Sie töten sollten. Mein Bruder hat mich dazu veranlasst, Marsalis aus dem Staatsgefängnis von Süd-Florida rauszuholen, um den Druck auf Sie und Onbekend zu erhöhen. Er spielte mit Ihnen geradeso, wie Sie mit ihm gespielt haben.«
»Wirklich?« Einen Moment lang waberte der Versuch eines Lächelns auf dem Gesicht des Direktors von COLIN. »Welche Ironie dann, dass er sowohl die Agenten meines Todes als auch das Mittel bereitstellte, ihre Absicht zu durchkreuzen. Ironie auch, dass Sie, Mr Marsalis, mir sowohl das Leben gerettet als auch anschließend alles um mich herum zum Einsturz gebracht haben. Dann wiederum war dies stets das Zweischneidige, das Ihre Art uns zu bieten hatte, vom allerersten Anfang an. Variante Dreizehn, die Verkörperung der puren Gewalt, unsere Erlöser und unsere Nemesis.«
Carl horchte auf Ortiz’ schwungvolle, bildhafte Sprache und dachte jäh an Manco Bambarens maniertes Gerede über Pistacos und menschliche Geschichte. Er überlegte müßig, welche Gene die beiden Männer wohl teilten.
»Wo ist Onbekend?«, fragte er barsch.
»Ich furchte, das weiß ich nicht.« Vielleicht war Carl ein wenig vorgezuckt, denn Ortiz’ Stimme klang leicht angespannt vor Furcht. »Wirklich nicht. Glauben Sie, wenn ich es wüsste…«
»Jeff Norton hat gesagt, er sei zum Altiplano zurück. Zurück zu Bambaren. Dort haben Sie ihn damals kontaktiert, um diese Sache in Gang zu setzen, stimmt’s?«
»Ja, aber über Bambarens Organisation. Letztlich konnte ich bloß Nachrichten hinterlassen. Er hat mich aufgesucht, eines Abends hier in New York, wie ein Geist ist er durch die
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