Skorpione im eigenen Saft
er mir servierte, keine an – anders verhielt es sich mit den anregenden Weinen, die er zu den Speisen auftrug – und kaute trotzdem die ganze Zeit auf irgendwelchem Zeug herum, das er aus seinen Taschen hervorkramte: iranische Pistazien, geschälte Sonnenblumenkerne, getrocknete Aprikosen, Cashewnüsse und irgendeine kalifornische Nusssorte … Scheinbar war er unfähig, seinem Mund auch nur eine Minute Pause zu gönnen.
Das erinnerte mich an mich selbst, wenn mich irgendwas nervös macht und mich auf einmal das Bedürfnis befällt, augenblicklich etwas Leckeres zu vertilgen.
Möglich, dass seine Nervosität chronisch war.
Er bekannte, dass er früher geraucht hatte; er musste es aufgeben, weil er keine Luft mehr bekam und der Arzt ihm ein Emphysem in weniger als drei Jahren vorhergesagt hatte, wenn er sich nicht einschränkte; er hatte an die siebzig Zigaretten am Tag geraucht.
Außer dem Sauternes verputzten wir zwei Dreiviertelliterflaschen: einen interessanten weißen Martivilli aus Rueda aus reiner Verdejo-Traube und einen Roten aus Ribera del Duero, einen 91er Protos Reserva, kräftig und vollmundig wie ein ordentlicher Fluch; zum Dessert, einem Stück Birnenstrudel, gab es schließlich noch mehrere Gläser süßen Noé; es war ein uralter Pedro Ximénez, bei dem man fast spüren konnte, wie einem die Trauben die Gurgel hinabglitten. Nachdem ich festgestellt hatte, in welchem Tempo Astigarraga sein Glas leerte, versuchte ich, mich seinem Rhythmus anzupassen, um nicht das Nachsehen zu haben. Kurz gesagt, am Ende der Verkostung waren wir beide voll wie die Haubitzen.
Es war fast Mitternacht; ich war schon eine Ewigkeit dort. Der Wiederkäuer und die Köchin waren bereits gegangen, und den Schlussakt genossen wir allein und hinter verschlossenen Türen.
Bevor ich meinen Besuch beendete, erfuhr ich zwei weitere Dinge über Haddocks Doppelgänger.
Natürlich war er kein Fan von Tim und Struppi; das mit der »Nährflüssigkeit« war purer Zufall gewesen. Ich erzählte ihm von seiner Ähnlichkeit mit der Figur; er kannte sie und die Comicgeschichten, interessierte sich aber nicht sonderlich dafür.
Er lebte allein in der Wohnung über dem Lokal. Dort musste auch das Weinlager sein, da er über eine Treppe in der Küche hinaufgestiegen war, um die Flasche Protos zu holen. In Wirklichkeit war es eine wackelige Trittleiter, die an der Wand der voll gepfropften Küche lehnte und die er an der Decke einhängte, um mühsam durch eine kleine Falltür in sein Domizil zu gelangen, wie ich von meiner Ecke am Tresen beobachten konnte.
Während der Verkostung geizte ich nicht mit aufrichtigem Lob für die Speisen und erlaubte mir sogar, ein paar Vorschläge zu machen, die Antontxu zu schätzen wusste. Ich erinnere mich, dass ich mich trotz des unruhigen Wesens meines Gastgebers ausgesprochen wohl in seiner Gesellschaft fühlte. Ich erbot mich, ihn woandershin auf ein Glas einzuladen, um mich für seine großzügige Bewirtung erkenntlich zu zeigen. Da wurde er auf einmal mürrisch und sagte zu mir:
»Lieber nicht. Ich trinke außer Haus keine harten Sachen; es bekommt mir einfach nicht … Und ich will mich heute Nacht weder mit Ihnen noch mit sonst jemandem in die Haare kriegen. Außerdem ist es schon ein wenig spät …«
Ich begriff, dass er die gemeinsam verbrachte Zeit als beendet betrachtete. Ich überlegte noch, ob ich ihm anbieten sollte, ihm beim Aufräumen zu helfen, doch nachdem er sein Verhalten so brüsk geändert hatte, schien es mir nicht ratsam zu sein. Mein Radar registrierte, dass der Alkohol in der für mich noch unbekannten Psyche von Antontxu Astigarraga seine Wirkung tat und er lieber so schnell wie möglich allein sein wollte, bevor Hyde mit dem Stockknauf an seine Hirnrinde klopfte und um Einlass bat.
Er verabschiedete mich mit verhaltener Höflichkeit.
9
Der Februar kam. Die restlichen Januartage waren mit der erschreckenden Schnelligkeit verflogen, mit der die Zeit verrinnt, wenn man die Vierzig überschritten hat.
Meine wirtschaftliche Lage war noch immer düster. Die hunderttausend Peseten im Monat reichten gerade mal für den Hundefrisör, ein paar Leckereien und wenig mehr.
Wie können ganze Arbeiterfamilien von so einer lachhaften Summe leben? Ich begreife es nicht.
Wie heißt es noch bei John Updike: Mit Geld ist es wie mit Sex; man kann nicht genug davon haben.
Glücklicherweise fuhr meine Mutter, die wegen der Flucht des Alten deprimiert war, zu einer langen Schlafkur –
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