Skorpione im eigenen Saft
Gott!!«
Gerade, als ich dem Taxifahrer einen schönen Abend wünschen will, spüre ich, dass ich in ein dunkles Loch falle, dass ich weggleite, dass mir die Sinne schwinden – dass ich sterbe. Ein paar Sekunden totale Dämmerung, Todeskampf, doch nur für ein paar Sekunden.
Schon wieder vorbei.
Ich atme tief durch.
Kalter Schweiß bricht mir aus.
Der Blutdruck ist einfach weggesackt, eine Überreaktion des Nervensystems wegen der Angst, das muss es gewesen sein, weiter nichts …
»Hallo! Hören Sie mich nicht?«, beschwert sich der Taxifahrer in rüdem Ton.
»Tschuldigung, ich war … kurz weggetreten. Was haben Sie gefragt?«
»Ob Sie was gewonnen haben, habe ich gefragt?«
»Wie bitte?«
»Lotto, Mann … Die Weihnachtslotterie. Ob Sie irgendwas abgesahnt haben.«
»Bei dieser Lotterie sicher nicht. Dafür hab ich bei einer anderen vielleicht sogar den ersten Preis gewonnen.«
Der Taxifahrer dreht sich wieder zu mir um. Er sieht mich durchdringend an, und mit einem hinterhältigen und spöttischen Ausdruck sagt er in einem seltsam unheilschwangeren Tonfall, der beunruhigend anders klingt:
»Vielleicht ist ja Ihre Nummer gar nicht mehr dabei.«
Wieder überläuft mich ein eiskalter Schauer.
»Warum sagen Sie so etwas? Was meinen Sie damit?«
Er antwortet nicht. Er sieht wieder nach vorne und setzt sein übliches Geschwätz fort.
»Das geht mir am Arsch vorbei. Das mit der Weihnachtslotterie, meine ich. Na ja, stimmt nicht ganz; einmal habe ich fünftausend Peseten gewonnen und früher schon mal ein paar Kröten, aber ich habe zweiunddreißigtausend Mäuse eingezahlt, doch wie jedes Jahr nur kleine Fische … und der ganze Hauptgewinn nach Teruel, ein starkes Stück das.«
»Klar …«
Was hat er nur damit gemeint, meine Nummer sei nicht mehr dabei? Auch egal. Zurück zum Wesentlichen. Wir stehen immer noch an derselben Stelle. Wenn der Schwindelanfall vorbei ist, werde ich zu Fuß weitergehen. Los, ich steig aus, raus aus dieser Scheißfalle und weg von dieser Nervensäge.
Doch wenn ich’s mir recht überlege, warte ich lieber noch ein bisschen.
Aber wenn sich der Stau nicht in spätestens fünf Minuten aufgelöst hat, steige ich aus.
Auf jeden Fall.
Beschlossene Sache.
Diesmal bestimmt.
Und wenn es bereits egal ist, ob ich warte oder mich beeile? Wenn es schon zu spät ist und man mich nicht mehr retten kann?
Beruhige dich, Pacho, du bist schon mit viel schlimmeren Sachen fertig geworden, alter Haudegen, ganz bestimmt, auch wenn dir gerade keine einfallen will; denk einfach an etwas anderes.
Im Radio, dessen hintere Boxen mir die Ohren volldröhnen, sondert irgendein Schwachkopf Sentimentalitäten über den Sinn von Weihnachten ab, die so herzergreifend sind wie der Zweite Weltkrieg.
»Klar, mein Kleines. Wenn du brav warst zu den aitas, und ich bin sicher, du warst es, bringt dir der Olentzero bestimmt das Spielzeug und die anderen hübschen Sachen, die du dir gewünscht hast. Na, warst du ein braves Mädchen, Irati? Wirklich brav, hm?«
»Geht so.«
»Was heißt hier geht so? Also ein bisschen ungezogen warst du schon?«
»Ja … Das findet jedenfalls Onkel Joseba.«
»Und warum findet Onkel Joseba das?«
»Weil ich ihm nicht erlaube, dass er mir unters Kleid fasst, und weil ich die hässliche Puppe nicht küssen will, die in seiner Hose wohnt.«
»Aha … Verstehe … Die Technik sagt mir gerade, dass die Verbindung unterbrochen wurde … Und nun bringen wir auf Wunsch unserer netten Hörer aus der Besserungsanstalt El Niño de La Bola in Galdakoa die Weihnachtsrumba Die Schäfer gehen zum Pogrom der Gruppe Costo de Agosto.«
Das reicht, du Marktschreier; eine schöne Blamage, weil du so aufdringlich und bescheuert bist. Iratis kindliches Bekenntnis hat dich so kalt erwischt, dass sogar deine schmierige Stimme klingt wie die von Foghorn Leghorn.
Und für diesen Lüstling Onkel Joseba wird es bestimmt ein unvergessliches Weihnachten werden; Pädophilie über den Äther, ein wirklich hübsches Geschenk von dem bekloppten Olentzero.
Über meins kann ich mich allerdings auch nicht beklagen.
Wer hätte das gedacht? Völlig am Ende dank dieses versoffenen Köhlers aus Guipúzcoa, über den ich so oft gelacht habe wegen des pathetischen Kreuzzugs der Nationalisten, die darauf erpicht sind, die prächtigen, aber nicht sehr baskischen Heiligen Drei Könige durch einen autistischen Hinterwäldler zu ersetzen, den sie aus der Mythologie des tiefsten Tals von Guipúzcoa
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