SLAM (German Edition)
zupfte Karim eine der Trauben ab, steckte sie in den Mund und ließ der en schwere Süße in darin zerplatzen. Dann horchte er in sich hinein. Nun trug er also BEY in sich, er war BEY. War er dadurch auch zu einem Werkzeug von HAVVA2 geworden oder hatte er noch seinen eigenen freien Willen? Würde sich das Blatt jetzt wenden? Wü rde er in d er Lage sein , sein Schicksal selbst z u bestimmen, oder fiel er damit demselben Irrglauben zum Opfer, der schon seinen alten Freund j ahrhundertelang an diesen unseligen Kampf gefesselt hatte? Und wenn das, was er gerade empfand, sein eigener freier Wille war, was würde er ihm raten , zu tun? Was war seine Aufgabe? Sich HAVVA2 entgegen zu stellen? Sie bekämpfe n, wie BEY es versucht hatte? Der war nicht allzu weit damit gekommen, es hatte ihn am Ende ermüdet, ausgelaugt, traurig und voll H eimweh zurückgelassen, bereit, in den endgültigen Tod zu gehen . Und doch hatte er Karim dieses unglaubliche Geschenk gem acht, damit er seine Aufgabe erfüllen konnte. Du kannst uns alle retten , hatte er gesagt, aber mit BEYs Weisheit war nicht das Wissen um den Weg in ihn eingedrungen.
Diese Frag en beschäftigten ihn , aber sie beunruhigten ihn nicht im Geringsten. Ruhig lehnte er am schmiedeeisernen Geländer, das di e Terrasse vom Abgrund trennte.
Zunächst hörte er nur leise Geräusche aus dem Bad, dann nahm er im A ugenwinkel eine Bewegung wahr. Im Licht des Nachmittages betrat eine Gestalt die Terrasse. Mit einer anmutigen Bewegung teilte sie die seidenen Bahnen des Vorhangs und ein nackter Fuß schwebte auf die gelben Sandsteinplatten nieder. Ihr roter Kimono öffnete sich durch den Wind einen Hauch breit und gestattete den Blick auf ein perfekt geformtes Bein, leicht gebräunt und glatt wie die Oberfläche eines Sees in der Abenddämmerung.
Karim konnte nicht anders, seine Augen blieben an d er Erscheinung hängen. Ihre Haut schien von innen zu leuchten, als hätte sie die Strahlen der Sonne aufgenommen und würde sie nun Stück für Stück der Welt zurückschenken. Ihre Haare fielen wie flüssiges Gold sanft über ihre Schultern, folgten der Linie eines wohlgeformten Rückens, den der dünne Stoff verführerisch erahnen ließ. Entspannt schlenderte sie an Karim vorbei und streifte ihn wie zufällig. Wellen heißer Erregung schossen von dieser Stelle in alle Fasern seines Körpers und setzten ihn in Flammen. Er atmete tief ein , und ein Duft aus seinen Erinnerungen neckte seine Nase. Es war der Duft des Taschentuches, mit dem alles begonnen hatte. Hier war er wieder, setzte sich mühelos gegen Lavendel und Pinie durch und blockierte sein Gehirn für alle anderen Gerüche.
Er sah ihr nach, sie wandte lasziv den Kopf und warf in einer fließenden Bewegung ihr Haar zur Seite. Jetzt erst zog ihr Gesicht seinen Blick auf sich. Die Proportionen waren makellos. U nmerklich schräg gestellt e Augen in der Farbe des Meeres blinzelten ihn verführerisch über hohe Wangenknochen hinweg an . In ihrem Antlitz spiegelten sich alle Rassen, sie war die Frau, eine einzelne Frau und doch alle Frauen in einem. Der Wind spielte mit ihren Haaren, ließ sie wie ein Netz aus goldenen Fäden um sie wehen. Ihre hohe Stirn verl ieh ihr eine majestätische Aura. S ie trug ihren Kopf hoch erhoben und reckte ihr Kinn fast unmerklich herausfordernd vor. Karim ertappte sich dabei, wie er sich in ihrem Gesicht auf die Suche nac h einer Unregelmäßigkeit machte , einer Eigenart, dem n atürlichen Ungleichgewicht, das aus dem perfekten Anblick ein schönes Gesicht macht . Sein Blick glitt ungehindert über diese Vollendung , und er stellte mit leichter Verwunderung fest, dass es gerade das Feh len von jeglichem Makel war, welches das Bild störte. Sie schien der Inbegriff einer Frau zu sein , und doch wirkte sie künstl ich, weil ihr der unvollkommene Touch des Menschlichen fehlte.
Mit zwangloser Eleganz nahm sie die Flasche Champagner aus dem Kühler, ließ die perlende Flüssigkeit in zwei schmale, hohe Gläser rinnen und h ielt Karim eines davon auffordernd hin. Dabei rutschte der Ärmel ihres Kimonos ein Stück nach oben und gab nun auch die Sicht auf einen meisterhaft geformten Arm frei .
Er trat einen Schritt zurück, hob die Hand zur Abwehr, aber die Göttin lächelte süffisant. » Du kannst es trinken, es ist nicht haram, Karim. Kein Alkohol, aber dieselbe Wirkung. Stoß mit mir an!«
»Du meinst so wie du, HAVVA2: keine richtige Frau, aber dieselbe Wirkung?« Bitterkeit lag in seiner
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