SLAM (German Edition)
Stimme.
Seine Gastgeberin schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. Sie hielt das Glas erneut in seine Richtung. D ieses Mal griff er danach. Mit einem hellen Klirren stieß sie ihr Glas an seines. » Mein Name ist Eva, Karim, und ich habe schon so lange auf dich gewartet. À votre santé!«
Ein säuerlicher Geruch stieg in Karims Nase, als er das Glas an seine Lippen führte. Er mochte ihn nicht. Dennoch trank er. Einen winzigen Schluck nur, kaum mehr, als dass er die Zunge benetzte . Der Sommerwind streichelte sein Haar, die Brandung des Meeres drang an sein Ohr. Er wusste, dass dies eigentlich ein wundervoller Moment war, einer, den man tief in sich aufnehmen und genießen sollte, doch es wollte ihm nicht gelingen. Alles erschien ihm so trügerisch. Selbst der Geschmac k des Getränks , obwohl ihm seine zartg oldene Farbe und sein Perlen etwas Lebendiges verliehen.
Sie sahen auf die offene See hinaus. Das lange Haar umspielte Evas ausladende Wangen, die Sonne beschien ihre makellose Haut von Westen her . Bald würde sie untergeh e n, so golden wie die glänzenden Locken dieser unglaublich schönen Frau. Unwirklich schön. Wie das Getränk in ihren Händen, die Meeresbrandung, der Sommerwind.
»Du glaubst die Wahrheit zu kennen, nicht wahr, Karim?«, sagte sie, den Blick ihrer großen, von langen dunklen Wimpern umkränzten Augen nicht von den weißen Schaumkronen der rauschend heranrollenden Wellen nehmend. »Die Wahrheit über Wirklichkeit und Trug, über Gut und Böse. Und ich bin der böse Trug. So einfach ist eure Welt, die Welt der Kinder, die sich weigern, erwachsen zu werden. Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie die ›gute Wirklichkeit‹ damals ausgesehen hat, Karim, vor Jahrhunderten? Ich meine nicht für deinesgleichen, sondern für uns, die Frauen … für meine Frauen. Dabei habe ich für dich noch den besten Jahrgang ausgesucht. Ich habe be wusst den Sommer 1972 genommen. Nie zuvor und nicht mehr danach waren die Frauen in der islamischen We lt uneingeschränkter in Sachen Selbstbestimmung, Emanzi pation und Freizügigkeit. Sie ha tten das freiheitliche Ideal der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau beinahe verwirklicht . «
Karim verstand, was sie sagte, aber er begriff die Bedeutung ihrer Worte nicht . Er nahm noch einen Schluck d es perlenden Getränks, als helfe es ihm, seinen Gei st zu erweitern.
» Dana ch ging es mit ihrer Freiheit, insbeso ndere mit der Freiheit, sich d en Sexualpartner selbst wählen zu können, Stück für Stück b ergab«, fuhr Eva fort. »Aus dem Islam erwuchs der Islamis mus. Eine Religion verkam zur Ideologie, unter deren Deckmantel ihre Anführer sich die Gesellschaft so zurechtstutzten, dass sie leicht zu führen und zu manipulieren war. Freiheit und Bildung wurden eingetauscht gegen fundamentalistisches Denken und Handeln. Der Weg in die Unterdrückung all jener, die dem kritisch gegenüberstanden, war bald geebnet , und mit der Entrechtung der Frauen wurde die Hälfte der Gesellschaft mundtot gemacht. Aber wie alle Ismen führte auch dieser hier zu kein em guten Ende. Wo Extreme herrschen, gibt es keinen gesunden Fortschritt. Die Welt gerät aus dem Gleichgewicht, die Natur verkommt. Die Seelen, sie werden krank. «
Sie ließ ihre Worte einige Augenblicke wirken, ehe sie sagte: » Der Islam ist im Kern ein Gesellschaftsmodell, das dem sogenannten Baldwin-Effekt Vorschub leistet . Sein Name wird dir vielleicht nichts sagen, aber James Mark Baldwin war ein Philosoph und Psychologe, der um die Wende zum 20. Jahrhundert von sich reden machte. Ich habe mich mit seinen Werken sehr lange auseinandergesetzt. Er war der Ansicht, dass sich die genetische Zusammensetzung einer Population ändert, wenn Menschen bestimmte kulturelle oder religiöse Verhaltensweisen praktizieren . Zum Beispiel – wenn sie Frauen unterdrücken. Die Menschen in dieser Gesellschaft schaffen sich durch ihr Verhalten unwillentlich eine genetische Passform, die im besten Falle statisch bleibt, doch in der Regel ins Verderben führt. Aber niemals gebiert sie etwas Neues. Das heißt nicht, dass sich das Genom der ›Neuerer‹ unmittelbar ändert, aber ihr Wirken beeinflusst den Selektionsdruck, den die natürliche Auslese auf die nachfolgenden Generationen völlig anders aus ge übt hätte . Verstehst du, was ich meine? «
Karim schüttelte den Kopf.
»Gut , dann sieh mich an. Ich bin die Summe der Idealvorstellungen aller Männer von einer Frau. Ich bin jung, groß, schlan k,
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