SLAM (German Edition)
gelingen, sich an einen Ort seiner Wahl zu projizieren? Wi e funktionierte das? Leider hatte ihm BEY keine Gebrauchsanleitung mitgegeb en. D as, was von ihm auf Karim übergegangen war, entzog sich der physikalischen Logik, aber trotzdem glaubte er plötzlich , dass es ihm gelingen könnte. Instinktiv schnappte er nach Luft und tauchte hinab.
Das Meer hatte sich verändert. Bei seinem Sturz hinab von den Felsen war es wie eine blaue Wand auf ihn zu gerast, ha tte ihn nach seinem schmerzhaften Aufprall eingesaugt und sich einverleibt, hinabgezogen in ein Reich diffusen Lichts, bizarrer Felsformationen und unzähliger Fische. Bunte Flecken in einer endlosen, wabernden Landschaft , geformt aus Steinen und grünen Seegrasfeldern, al les unterlegt mit dumpfen Geräuschen. All das sah Karim nun wieder, als er mit kräftigen Bewegungen in die Tiefe vorstieß. Dennoch gab es Unterschiede. Zunächst nahm er nur ein schwaches Blitzen am Rand seines Sehfeldes wahr , und bevor er seinen Kopf drehen konn te, war es bereits verschwunden. D ann jedoch tauchten w eitere Blitze die Unterwasserl andschaft in purpurfarbenes Licht. Die Augen weit aufgerissen bestaunte Karim das Spiel der Lichter um ihn herum, als sich aus der steten Abfolge von Hell und Du nkel Bilder zu formen begannen.
Er vergaß, wo er war, vergaß zu atmen. Gebannt beobachtete er, w ie sich aus Schemen ganze Tableaus entfalteten. Auf allen von ihnen waren Frauen zu sehen. Aber e r war ni cht einfach ein Beob achter dieser Bilder, sondern zugleich ein Beteiligter. D as Wasser um ihn herum erschuf Szenerien, machte ihn zu einem Teil von ihnen und ließ ihm doch keine andere Wahl, als nur Zuschauer zu sein.
Das Abbild einer exotisch anmutenden Königin erschien, ihr zartg liedriger Körper überhäuft mit g old enem Gepränge , auf ihrem Kopf eine turmartige Krone, umschlungen von einer Kobra, die sich auf ihrer Stirn drohend aufrichtete. Er sah Pyramiden in gleißender Wüstensonne und Papyrus, der sich am Ufer eines breiten, schlammigen Flus ses im Wind wiegte. Edle Möbel und Stoffe füllten rauchgeschwängerte Tempelhallen , und dann erschienen raue, weiße Männerbeine, die in Sandalen steckten und so gar nicht zum weichen, fließenden Kleidungsstil der zarten, dunkelhäutigen Regentin passten. » Die Schöne vom Nil«, raunte eine Stimme in Karims Kopf, als er die zarte Frau vor sich liegen sah, zwei lebende Schlangen um ihren Hals geschlungen.
Die Szenerie wurde abgelöst vom Bild einer Kriegerin, gehüllt in eine Rüstung aus poliertem Leder, mit wirr em Haar und stolzem, grauäugigem Blick. A n ihr er Hüfte baumelte ein Eisenschwert. Ihre Beine waren mit Fell umwickelt, ihre Haut war blass und verschmutzt. Neben ihr standen jüngere Fraue n mit Augen, so nebelgrau wie die ihren. F assungslos musste Karim Zeuge werden, wie Män ner mit denselben Sandalen wie im vorangegangenen Bild die jungen Frauen von der Seite ihrer Mutter rissen und sie brutal vergewaltigten. Aber er sah auch den Hass in den Augen der Kriegerin auflodern und beobachtete sie dabei, wie sie sich, gra usamer als jeder Mann gewesen wäre, durch die Reihen der Vergewaltiger metzelte, um letztlich in einem See aus Blut und Matsch schreiend stehen zu bleiben. Die Stimme i n seinem Kopf flüsterte: »Boudicca , Fluch von Camulodunum .«
Er hätte längst atmen müssen, aber sein Blut blieb still, sein Herz raste nicht, er trieb im Wasser und betrachtete andächtig die Abfolge vergessener Frauenleben, die sich durch immer neue rliche Lichtblitze ankündigten.
Das zarte Gesicht einer weiteren Frau erschien, eingerahmt von einem luftigen Schleier, der ihr kastanienfarbenes Haar nur unzureichend verdeckte. Auf ihrem Haupt funkelten zwei goldene Kronen. Ihre Augen verrieten Klugheit, ihr Blick zeigte reges Interesse. Der Stoff ihres bodenlangen Kleides bauschte sich, Kragen und Ärmel waren üppig mit Pelz besetzt. Karim beobachtete die beschwerliche Reise dieser zarten, aber zähen Königin weg vom stolzen Schloss in ihrer Heimat, über das Meer und durch die Wüste hin zu einer S tadt, die ihm als Jerusalem ein Begriff war. Dann sah er sie bei Hofe, umgeben von Musikern und Gauklern, an ih rer Seite drei stattliche Söhne. A uch sie trugen Kronen wie ihre Mutter. Als Nächstes sah er sie in einem Turmzimmer hin - und her schreiten, ihr mittlerweile von Falten durchzogenes Gesicht von Sorgen und Einsamkeit geprägt. Diesem Bild folgte die Darstellung derselben Frau in einem anderen
Weitere Kostenlose Bücher