SLAM (German Edition)
präsent, hörte alles, sah alles, regnete vom Himmel herab und war die Pfütze, die man durchquerte, das Bad, das man nahm , und Bestandteil der rituellen Waschungen vor dem Gebet.
HAVVA2 h atte zudem ihre physischen Grenzen gesprengt, sich von einem zentralen Ort aufgespalten in M yriaden einzelner Einheiten und war so zu ein em unbesiegbaren Gegner transformiert. So sehr sich seine Vorväter auch bemüht hatten, Frauen unter Kontroll e zu halten, mit der Einführung von HAVVA2 hatten sie genau das Gegenteil erreicht . Ohne dass sie es begriffen, hatte das Weibliche sie unterworfen , mit den Waffen einer Frau sozusagen.
Überwältigt von dieser atemberaubenden Einsicht paddelte Karim orientierungslos in der HAVVA 2-Suppe umher. Neue Szenen wechselten sich unablässig ab und stürmten auf ihn ein, aber der Tenor der Bilderflut h atte sich dramatisch verändert. Nun wurde er Zeuge der Steinigung einer Frau. S ie war bis zum Hals in die Erde eingegraben und ihren Peinigern hilflos ausgeliefert; T ränen rannen über ihr Gesicht. Vor seinen Augen verwandelte es sich in eine blutige, breiige Masse. Tief verschleierte Frauen schwebten wie nebelhafte Schemen an ihm vorbei, ihre Körper von z eltartigen Stoffbahnen verdeckt. N ur durch kleine Gitter konnten sie ihre Umwelt erkennen, blieben anonym, kontur- und eigenschaftslos. Das Panoptikum des Schreckens nahm kein Ende, er wollte seine Augen verschließen, aber irgendetwas zwang ihn, dieser grausamen Abfolge weiter zuzuschauen. Eingesperrte Frauen, geschlagen und gedemütigt von ihren Mä nnern, überschüttet mit Säure, die ihnen Haut und Fleisch aus dem Gesicht gefressen hatte . Kleine Mädchen, festgehalten von ihren Müttern und gnadenlos ihrer weiblichen Empfindungsfähigkeit beraubt, eine Orgie aus Blut und Tränen, Geschrei und Verzweiflung. Die Bilder brannten sich in Karims Geist, ihm wurde übel, er wollte eingreifen und musste doch stumm miterleben, wie man Frauen verstümmelte, einsperrte , quälte, misshandelte und tötete.
Und fast überall Turbane, Turbane, Turbane, so wie er selb st zu religiösen Anlässen einen trug, und männliche Gesichter, die ihm seltsam vertraut vorkamen, seine Brüder, seine Vorväter … S ie taten das alles und luden untilgbare Schuld auch auf seine Schultern.
Er konn te das nicht länger aushalten. Sein Schrei war nicht mehr als ein gurgelnde s Geräusch , und sein Gesicht bran nte von Tränen, die sich mit dem Salzwasser mischten. Seine Trauer und Wut kannten keine Grenzen. Er wollte hier sterben, sterben vor S cham, wollte die Sünden seiner Vorv äter nicht ertragen, nicht länger Zeuge der Gräueltaten sein, die sie begangen hatten. Karim schloss die Augen, schottete seinen Geist vor den furchtbaren Bi ldern ab, suchte Trost in der Hoffnung, dass er bald frei sein möge von de r Last dieses grausamen Erbes.
Plötzlich streifte etwas seine Schulter und er riss instinktiv die Augen wieder auf. Eine Schule von Delfinen tollte ausgelassen um ihn herum, umkreiste ihn und tauchte unter ihm hinweg. Sie wussten nichts von der Bilderflut und näherten sich ihm neugierig. Vorsichtig stupste eines der Tiere seine Hand an und gab freundlich e Laute von sich , als wolle es ihn aufmuntern. Sein Innerstes fühlte sich roh an, seine Seele weinte, und trotzdem musste er bei diesem Anblick lächeln. Er hob seine Hand und berührte die Schnauze des vor ihm schwebenden Tümmlers.
Und wie durch ein Wunder kämpfte sich sein Lebenswille d urch das Dic kicht seiner Trauer zurück und erinnerte ihn an sei ne Hoffnung, diesen Ort mit BEYs Kräften verlassen zu können. Daraufhin schloss er die Augen erneut und konzentrierte sich auf einen Ort, der ih m vertraut war. Wenn er nur intensiv genug daran dachte, würde er sich dorthin bewegen können.
Seine Lungen blähten sich beim ersten Atemzug auf und er wusste, dass er es geschafft hatte. N och b evor er seine Augen öffnete, war ihm klar, er war im » Herz des Wissens «. Der Alte hatte ihn irgendwie erneut geret tet.
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Das Licht schmerzte nich t in seinen Augen, es war gedämpf t und ließ den kleinen Raum, in dem er sich befand, Geborgenheit ausstrahlen. Wenige erlesene Möbels tücke bedienten sowohl Funktion als auch Ästhetik und ließen ihn sofort entspannter atmen. Sein Anzug zeigte keinerlei Spuren der Ereignisse der letzten Tage. Das angenehme Material regulierte unmerklich seine Körpertemperatur und passte sie an die Umgebung an. Verwundert strich er mit den Händen am
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