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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wären überrascht, wie viel Macht und Einfluss manche besitzen, die sie nicht haben.«
    »Sicher«, sagt Crest aufgewühlt. »Wie Sie. Sie werden ausschließlich von der Medizinerkommission eingestuft. Ärzte haben sich schon immer gegenseitig in Schutz genommen.«
    Martin beißt fest die Zähne zusammen, bevor er antwortet. »Wenn wir die Kriterien anwenden würden, die Ihre Geschäftskollegen für angemessen halten, würden wir die besten und empfindsamsten Ärzte verlieren.«
    »Schon wieder dieses Wort!«, sagt Crest und schnieft mit leiser Empörung. »Empfindsam. Ich bin kein Künstler, ich bin kein Therapeut, ich treffe Entscheidungen! Ich muss ein Dutzend wichtiger Entscheidungen pro Tag treffen, jeden Tag. Ich muss hart und scharf sein, wie eine Messerklinge. Nicht empfindsam.«
    »Je schärfer die Klinge, desto leichter wird sie bei unsachgemäßer Benutzung stumpf«, stellt Martin fest.
    »Ich habe mir Maßstäbe gesetzt«, sagt Crest. »Es tut mir Leid, wenn ansonsten niemand stark genug ist, um sie akzeptieren zu können.«
    »Mr. Crest, auch ich habe meine Maßstäbe. Wenn unser Gespräch irgendein positives Resultat ergeben soll, müssen wir noch einmal ganz von vorn anfangen. Sie haben meinen Tagesablauf ohne Terminabsprache gestört, Sie haben meine Berufsethik infrage gestellt, indem Sie mir Geld unter die Nase gehalten haben…«
    Crest sitzt völlig ruhig da. Das Licht in der Umgebung seines Gesichts ist unnatürlich, entspricht nicht der Beleuchtung des Zimmers. Als wäre er eine Wachsfigur.
    »Ich weiß, dass Sie mich nicht mögen, und das geht in Ordnung. Ich bin daran gewöhnt, aber auch ich habe mein Ehrgefühl, Dr. Burke. Ich habe mich selbst in Schwierigkeiten gebracht. Ich weiß, was richtig und was falsch ist, und ich habe gegen diese Richtlinien verstoßen. Es begann als Gier, als Gier nach dem Leben, wie ich vermute, um die wahren Teufel abzuwehren, um zu bewahren, was ich geschaffen habe. Aber jetzt hat es sich weit über dieses Stadium hinausentwickelt.« Crest starrt ihn an.
    Martin kann einfach nicht in die Unbestimmtheit seines Gesichts eindringen. Etwas Ähnliches hat er noch nie zuvor erlebt. »Wenn Sie im Verlauf des Tages noch einmal wiederkommen, kann ich meine eigene Evaluation erstellen, mit meiner eigenen Ausrüstung.«
    »Jetzt«, sagt Crest. »Ich brauche es jetzt.«
    Martin ist bereit zu glauben, dass Crest unmittelbar vor einem thymischen Ungleichgewicht steht, vielleicht sogar vor einem pathischen Kollaps, aber die Lage wirft beträchtliche Legalitätsprobleme auf.
    »Ich kann Sie nicht als Notfall behandeln, Mr. Crest.«
    »Diese Männer und Frauen, mit denen ich zu tun habe… sie töten jeden, der mit Außenstehenden spricht.«
    Jetzt reicht’s, denkt Martin. »Ich kann Ihnen eine Klinik empfehlen, die nur zwei Blocks von hier entfernt ist, aber mit Ihren Möglichkeiten können Sie sicherlich…«
    »Ich kann nicht zu meinen eigenen Medizinern oder Therapeuten gehen. Es wäre zu gefährlich für mich. Ich habe mich einverstanden erklärt, dass meine Daten ans… Center weitergegeben werden. Sie würden sofort davon erfahren. Ich weiß keinen anderen Ausweg, Doktor. Zweihunderttausend.«
    Martin schluckt. »Ich kann keine Patienten behandeln, die kurz vor einem schweren Zusammenbruch stehen. Dazu wäre eine vorausgehende Evaluation durch einen staatlich zugelassenen Primärtherapeuten nötig.«
    Crest lächelt wieder – oder er lächelt vielleicht überhaupt nicht.
    Er beugt sich vor und legt die Arme auf Martins Schreibtisch. »Ich könnte es Ihnen sagen und es dann ihnen sagen. Dann müssten sie Sie töten. Oder Sie in Verruf bringen.«
    »Ich reagiere nicht sehr positiv auf Drohungen«, sagt Martin. »Ich lasse mich nicht dazu zwingen, etwas Illegales zu tun, weder durch Geld noch Drohungen, ganz gleich in welcher Form. Ich denke, Sie sollten…«
    »Ich könnte es übernehmen, Sie zu töten.«
    Martin steht auf. »Raus!«
    »Ich könnte mich genauso wie sie verhalten, aber so bin ich nicht. So bin ich wirklich nicht.« Er hebt die Arme und brüllt: »Keine Vereinbarungen, kein Druck. Ich würde auf alles verzichten. Was immer Sie verlangen, Doktor. Aber holen Sie mich da raus!«
    »Ich habe Ihnen gesagt, wo meine Grenzen liegen, Mr. Crest. Ich kann Ihnen die Namen einiger sehr vertrauenswürdiger Notfalltherapeuten geben…«
    Crest steht auf und klopft sich die Ärmel ab, obwohl die Armlehnen des Stuhls völlig sauber sind. Seine Stimme klingt jetzt ruhig.

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