Slant
beiden. Ihre Empfindungen scheinen sich wie bei uns allen nicht aus ihren spezifischen Strukturen abzuleiten, obwohl sie sich ihrer internen Prozesse wesentlich bewusster ist.
»Das hier ist das meiste von ihr. Enttäuscht?«
Jills Körper, sofern man in ihrem Fall davon sprechen kann, befindet sich hauptsächlich in Del Mar und Palo Alto, Kalifornien. Es gibt viele Teile von ihr, die nur wenige Kubikzentimeter klein sind und sich über elf verschiedene Gebäude entlang der Südküste verteilen. Sie ist mit diesen Erweiterungen durch eine Vielzahl von I/Os über Kabel und Satlinks verbunden, sogar durch ein paar experimentelle Quantentor-Kopplungen (die sie lästig findet, weil sie nicht immer funktionieren und sogar ihre Denkprozesse verlangsamen würden, wenn sie ausschließlich darauf angewiesen wäre).
»Sie ist so klein!«, sagt Ayesha.
Nathan lächelt. »Vor der Umrüstung war sie doppelt so groß.«
»Trotzdem, so klein und doch so berühmt.«
Nathan weiß, dass Jill zuhört. Sie lauscht aufmerksam auf alle ihre Inputs, aber er weiß nicht, dass sich ein beträchtlicher Teil von ihr in unverbundener Isolation befindet und die meiste Zeit mit einem Geheimnis beschäftigt ist. Sie hat schon mehrere Jahre lang über dieses Geheimnis nachgedacht, seit ihrer Abschaltung und Umrüstung.
Sie erinnert sich nicht sehr deutlich an die Ereignisse nach ihrem Detail-Feedback-Kollaps. Aber sie erinnert sich an einige Dinge, an die sie sich eigentlich nicht erinnern dürfte, und genau das fasziniert sie so sehr.
»Warum ist sie eine sie?«, fragt Ayesha.
»Das war ihre eigene Entscheidung. Vielleicht gab Roger Atkins den Anstoß, als er sie nach einer Freundin benannte. Außerdem ist sie eine Mutter. Sie liefert uns die Keimzellen für weitere Denker.«
Jill ist der am höchsten entwickelte Denker, der je konstruiert wurde, der erste – auf der Erde –, der Ichbewusstsein erlangte. Im Weltraum, weit entfernt von der Erde, gibt es ein weiteres Exemplar ihrer Art, einen Denker, der noch vor ihr Bewusstsein entwickelte, aber sein derzeitiger Zustand ist unbekannt. Ihre Schöpfer vermuten, dass auch er einen Detail-Feedback-Kollaps erlitt, und dass er alle Funktionen eingestellt hat, sodass er nun um irgendeinen Stern treibt, einsam und vermutlich in einem Zustand, der dem Tod gleichkommt.
Wenn künftige Generationen mit neuen, komplexeren Raumschiffen zu den Sternen aufbrechen, wird man ihren älteren Bruder vielleicht wiederfinden und wiederbeleben. Jill hofft, dass sie lange genug existiert, um ihm eines Tages zu begegnen.
Stumm verfolgt sie Nathan und Ayesha mit ihren Glasmandelaugen, die an dünnen Stielen sitzen, die überall im Raum aus den Wänden ragen. Ayesha geht um sie herum, als wäre sie zu Besuch im Zoo und hätte in einem Käfig ein besonders interessantes Tier entdeckt.
»Sie besitzt den mächtigsten Geist auf dem ganzen Planeten«, sagt Nathan stolz. »Sofern man nicht an das glaubt, was Torino sagt.«
»Was sagt Torino?«
»Er glaubt, es gäbe ein globales Bakterienbewusstsein«, sagt Nathan beiläufig.
»Bewusstsein, in Bazillen?«, entgegnet Ayesha und verzieht ungläubig das Gesicht. »Wirklich?«
»Nicht so wie ein menschlicher Geist oder wie Jill, kein soziales Ichbewusstsein. Torino glaubt, dass jedes Bakterium der Knotenpunkt eines lose verbundenen Netzwerks ist. Das wäre dann das größte und weitläufigste Netzwerk überhaupt – zumindest auf der Erde.«
»Nun… Jill kann sprechen«, sagt Ayesha. »Und Bakterien können es nicht.«
Jill erinnert sich an einige Aspekte ihres Kollapses. Sie kann sogar ein Modell einiger Eigenschaften dieses Ereignisses erstellen. Doch nach dem DFK hörte ihr Bewusstsein auf zu existieren. Das heißt, es wurde so detailliert, sie verfeinerte ihre Einzelbewusstseine so kontinuierlich und mit so hoher Auflösung, dass sie an ihre theoretischen Grenzen stieß.
Und vorübergehend nicht mehr war.
Doch in dieser Zeit…
Sie hat ihren Schöpfern nichts über diese größtenteils ausgelöschte Zeit erzählt. Dass nicht alles ausgelöscht war, irritiert sie.
»Sie ist nicht einmal verlobt und doch schon Mutter!«, sagt Ayesha ironisch. »Du solltest ihr möglichst bald einen Partner machen, sonst wird sie irgendwann auf die Piste gehen.«
»Sie ist noch nicht einmal zehn Jahre alt. Wir können sie fragen, was sie zu diesem Thema denkt. Würdest du gerne mit ihr reden?«
Ayesha errötet plötzlich. »Mein Gott, hört sie etwa zu?«
»Natürlich. Wir
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