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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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nicht sicher, ob ich es dir beschreiben kann, zumindest nicht aus eigener Erfahrung. Bis jetzt – toi, toi, toi – bin ich ein Natürlicher geblieben, Jill. Ich war niemals deprimiert oder habe das Gleichgewicht verloren.«
    »Das bedeutet, dass sich deine internen Reaktionen auf externe Probleme innerhalb eines bestimmten Rahmens bewegen, der als stabil und normal betrachtet wird.«
    »Bis jetzt. Aber ich will nicht damit prahlen. So etwas kann jedem passieren; dazu genügt der banalste Anlass.«
    »Demzufolge hast du die Empfindungen, die durch eine pathische Störung hervorgerufen werden, nie erlebt und verstehst sie auch nicht.«
    Nathan denkt darüber nach, während er sich mit einem Finger gegen das Kinn tippt. »Ich habe mich in einigen Yox-Sensationsberichten umgesehen und die Gedankenwelt eines Axt-Mörders miterlebt, solche Dinge. Einige wirkten sehr realistisch, aber ich bezweifle, dass sie einen wirklichen Einblick verschaffen.« Er konzentriert sich ausschließlich auf einen von Jills Wandsensoren. Ayesha kommt sich plötzlich überflüssig vor, steht aber völlig ruhig mit verschränkten Armen da und blickt sich um.
    »Eine pathische Störung ist entweder eine Beeinträchtigung der Ichbewusstseinsschleife oder eine Behinderung der Fähigkeit, emotionale Verbindungen zu anderen zu projizieren und herzustellen, richtig?«
    »Das kann sein. Ich bin kein Therapeut, Jill.«
    »Aber du hast einen Abschluss in theoretischer Psychologie.«
    »Ja… aber ich habe schon so lange mit dir gearbeitet, dass du meine menschliche Seite völlig ausgebrannt hast.«
    »Haha. Ich habe noch eine damit zusammenhängende Frage.«
    Nathan lächelt, als hätte er es mit einem Kind zu tun. Und das ist genau die Reaktion, die Jill sich wünscht, denn sie besitzt eine ausgeprägte, wenn nicht gar perverse Neugierde.
    »Her damit!«
    »Nach meinem Kollaps war ich anderthalb Jahre lang ohne Bewusstsein. Während dieser Zeit lag der Therapieanteil für thymische Störungen in der menschlichen Bevölkerung bei vier von zehn Beschäftigten und drei von zehn Arbeitslosen. Jetzt liegt der Anteil bei sechs von zehn Beschäftigten und einem von zehn Arbeitslosen. Wurde die Definition für diese Art von Störung erweitert oder geht es einer größeren Anzahl von Menschen schlecht?«
    »Das ist ein soziales Phänomen. In deiner Eigenschaft als vernetztes, quasi-neurales Phänomen hast du viele Sozialstudien durchgeführt.«
    »Ja, Nathan, ich verstehe den Hintergrund kultureller und ökonomischer Trends und kenne die Tatsache, dass die Firmen heutzutage Hochnatürliche oder vollständig therapierte Angestellte benötigen, aufgrund der weltweiten Konkurrenzsituation und zur Erreichung größerer Effizienz. Aber ist das nur eine scheinbare Veränderung, das Resultat falscher Wahrnehmungen und irrationaler Erwartungen, oder gibt es in der Gesamtheit der menschlichen Kulturen tatsächlich mehr unglückliche Individuen auf diesem Planeten? Die Trends sind keineswegs lokal beschränkt.«
    »Eine sehr gute Frage«, sagt Nathan.
    »Ich möchte meine Fehlfunktion besser verstehen«, erwidert Jill, »um zu vermeiden, dass etwas Ähnliches erneut geschieht.«
    Ayeshas Gesicht zeigt gleichzeitig Faszination und leichte Verlegenheit, als wäre sie unfreiwillig Zeugin eines intimen Familiengesprächs geworden.
    »Deinen Kollaps konntest du weder vorhersehen noch verhindern, Jill. Ich dachte, das hättest du begriffen.«
    »Das habe ich, Nathan, aber ich bin nicht gänzlich davon überzeugt.«
    »Aha. Nun, das ist…« Nathan denkt wieder nach. »Deine neuralen Prozesse wurden durch zu viele Rückkopplungsschleifen unterbrochen, während deine Auflösung viel zu hoch war, höher als du verkraften kannst, Jill. Vor deinem Kollaps hast du siebzehnmal ein neues Ich-Modell erstellt, bei einem Auflösungsgrad von… nun, einfach ausgedrückt, hast du mit mehr als zehntausend Hertz Ich-Du-Schleifen produziert. Ich glaube, dass selbst Gott diese Art von Bewusstheit nicht verkraften könnte.«
    Jill kichert. Ayesha lächelt, aber eher verblüfft als amüsiert.
    »Wirklich, Jill«, fährt Nathan fort. »Du basierst in einem gewissen Umfang auf menschlichen Algorithmen, wenn auch weniger als vor dem Kollaps, wie ich hinzufügen könnte, aber du kannst dich – beziehungsweise deine Schwachpunkte – nicht ohne weiteres mit den Schwächen eines menschlichen Gehirns vergleichen. Deine neurale Vernetzung ist unglaublich robust. Sie kann sich nicht durch Stress oder

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