Slant
ändern. So vieles hat sich für sie bereits verändert.
Sie liest von ihrem Pad – reinen Text –, während sie eine Mittagsmahlzeit aus Käse und Früchten verzehrt, in einem kleinen Cafe im Stil der Neunziger an der North Promenade im Schatten der Bellevue Towers.
Selbst ihr Äußeres ist im Fluss. Seit 2044 ist sie eine Transformierte, als sie ihre Körpergröße um dreißig Zentimeter erhöhen, ihren Knochenbau und die Gesichtszüge modifizieren und ihre Hautfarbe in ein samtiges Ebenholzschwarz verwandeln ließ. Doch nun macht sie einen großen Teil der Transformationen rückgängig. Ihre Haut wird durch Demelaninisierung langsam zu Nussbraun aufgehellt; zur Zeit liegt sie bei Mahagoni. Die samtige Textur bleibt, wird in einigen Monaten jedoch zu einem normalen matten Hautton verblassen. Sie behält die Körpergröße, aber ihr Gesicht wird bereits flacher und entspricht wieder mehr ihrem angeborenen Aussehen. Sie hat ihr angeborenes Aussehen niemals gemocht, aber da sich ihr Geist erheblich gewandelt hat – durch Problembewältigungen, wie sie es nennt –, findet sie es angemessen, ein weniger auffälliges Aussehen anzunehmen.
Außerdem gibt es in Seattle trotz der offenen Tolerierung von Transformierten durch Bundes- und Staatsgesetze eine ablehnende Unterströmung. Und Seattle ist seit drei Jahren ihre Heimat, seit ihrem Abstieg von einer Hochnatürlichen zur einfachen Untherapierten… Der Lapsus ihrer Hirnlappen, die proportionale Umschichtung der Persönlichkeit, der Sub-Persönlichkeiten, Agenten, Organe und Talente…
Das Ende ihrer kurzen Ehe mit dem Künstler E Hassida…
Ihre Nichtbeachtung während der Beförderungen in der LAPD…
Ihre Kündigung und die Versetzung zur Seattle Public Defense…
Und erst vor zwei Tagen die Trennung von ihrem letzten Freund.
Normalerweise trüben Gedanken an all diese Veränderungen ihre Stimmung, aber an diesem Nachmittag ist alles positiv. Es ist ein heller, sonniger Wintertag, sogar unter den hoch aufragenden blaugrauen Türmen, dem südlichsten Teil dessen, was auf der Eastside den länglichen Zeilen-Combs entspricht, die das Zentrum von Seattle dominieren.
Nach dem Essen will sie zu einer PD-Konferenz im Tillicum Tower an der West Eighth spazieren, wo sie einen Vortrag über die Koordinierung der Public Defense im Corridor halten wird. Sie wurde gebeten, sich um abteilungsübergreifende Kontakte zu kümmern, bis sie als Full Third eingestuft wird, was ihrer Überzeugung nach jeden Tag geschehen könnte. Die Seattle PD macht überhaupt kein Gewese um Unterschiede zwischen Hochnatürlichen und Natürlichen oder Untherapierten, während andererseits die Toleranz gegenüber extremen thymischen oder pathischen Ungleichgewichten gegen Null tendiert.
Zum Vergnügen zu lesen ist ein Luxus, an dem sie im Verlauf der letzten Jahre zunehmend Gefallen gefunden hat – obwohl ihre derzeitige Lektüre ihr zu viele unangenehme Erkenntnisse verschafft, um reines Vergnügen zu sein.
Ein Arbeiter erkundigt sich höflich, ob sie ihre Mahlzeit beendet hat. Sie reicht der Maschine das Tablett und greift nach ihrer Tasche, als sich ihr privates Pad meldet, das immer noch auf dem Tisch liegt.
Da sie noch ein paar Minuten Zeit hat, beantwortet sie die Anfrage.
»Mary? Hier ist Hans.«
Mary erstarrt. Das Gesicht auf dem Pad-Bildschirm ist nett, jungenhaft, aber nicht albern; ein Gesicht, das drei Monate lang ihr Interesse wachgehalten hat. Und es zieht sie immer noch an. Es war Hans, der ohne nähere Erklärungen auf Distanz ging und ihr mitteilte, dass es vorbei sei, dass es nicht funktionieren würde.
»Hallo, Hans«, sagt sie mit gezwungener Gelassenheit.
»Ich wollte dir ein paar Sachen erklären.«
»Ich benötige keine Erklärungen, Hans.«
»Aber ich. Ich habe mich in letzter Zeit ziemlich mies gefühlt.«
Mary lässt diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen.
»Wie du früher warst, hast du mir besser gefallen. Das ist… was ich erkannt habe. Ich wollte nicht, dass du dich veränderst.«
»Oh.« Sie ist bereit, ihn reden zu lassen; außerdem hat er offensichtlich nur deshalb angerufen.
»Du warst wunderschön. Richtig exotisch. Ich verstehe nicht, warum du dich ändern willst.«
»Ich verstehe, in welcher Hinsicht es verwirrend sein kann«, sagt sie. »Es tut mir Leid.«
Hans errötet. »Wer bist du, Mary, verdammt noch mal!?«
»Ich bin dieselbe, die ich immer war, Hans.«
»Aber wer, zum Teufel, ist das?«
Eine gute Frage. Eine Zeit lang hat sie
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