Slant
hergestellt. Ich schätze, es geht um selbstreproduzierende Proteine oder katalytische RNS-Maschinen. Die sind leichter in einen Monitor einzuschmuggeln und rufen seltener eine Immunreaktion des Wirtskörpers hervor.«
Daniels nimmt Marys Hand und untersucht sie besorgt, aber mit einem harten Glänzen in den Augen, das Mary sofort wiedererkennt. »Mary, wir werden diese Durchsuchung vor den Gerichten von Green Idaho rechtfertigen müssen und in dieser Angelegenheit hat Kemper ein entscheidendes Wörtchen mitzureden«, sagt sie.
»Ich bin müde, mir geht es schlecht, und ich will diese Sache zu Ende bringen«, erwidert Mary. »Suchen wir nach Roddy. Und nach Seefa Schnee.«
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Roddys Integration ist unvollständig und unregelmäßig. Jill entdeckt immer neue unerwartete Bereiche, in denen sie sich rekonstruieren kann, sowohl in ihren eigenen Arealen als auch in denen von Roddy. Roddy scheint nicht zu bemerken, was sie tut, was ein Täuschungsmanöver sein kann, aber nicht muss.
Jetzt verfügt sie über genügend Reserven, um eine stabile ichbewusste Einheit integrieren zu können – und ein Backup, an dem sie in regelmäßigen Abständen Integritätschecks durchführen kann. Sie bezweifelt, dass sich Roddy oder irgendein Teil von ihm innerhalb so kurzer Zeitperioden in ihr verstecken kann.
Jill bleibt außerdem in Verbindung mit dem sensorischen Datenfluss von Roddys Aktivitäten innerhalb von Omphalos. Sie ist noch nicht stark genug, um seine Aktionen blockieren zu können, aber vielleicht kann sie schon bald einen Bericht an Nathan übermitteln.
Sie weiß nicht, wo Nathan sich gerade aufhält, da er die Bereiche verlassen hat, zu denen sie Zugang hat. Doch ihre Zuversicht wächst, dass sich rechtzeitig etwas unternehmen lässt, dass sie mit minimaler Beeinträchtigung befreit werden kann.
Je näher Jill den Zentralprozessoren von Roddy kommt, desto seltsamer fühlt sie sich. Sie basieren auf einer natürlichen Heuristik, die sie nicht einmal ansatzweise versteht, und verwenden Algorithmen mit allen Merkmalen gewachsener Systeme – die ihre Struktur selbst entwickeln, die ohne externe Designs, Richtlinien und Checks auskommen. Sie kann einige dieser Algorithmen, die in ihren Einflussbereich geraten, abfangen und analysieren. Sie erinnern sie an neurologische Entwicklungsprozesse in menschlichen oder tierischen Gehirnen – nur dass Roddys Struktur wesentlich verzweigter, komplizierter und vermutlich weniger effizient ist.
Die kleinen Erfolge machen Jill zuversichtlicher, sodass sie sich weiter vorwagt und immer mehr von Roddys Datenströmen liest. Sie gewinnt den Eindruck einer gigantischen schrundigen Kathedrale oder eher eines weltumspannenden Waldes. Die Netzknoten, die Roddys Gewebe bilden, sind auf exotische Art und Weise miteinander verknüpft; auf sehr lange Verzögerungen folgen explosionsartige vereinheitlichende Lösungen. Und die Lösungen wiederum scheinen das Gewebe zu erweitern und zu restrukturieren…
Ein besonders großer Fluss geht durch Jill hindurch, allesamt ursprüngliche Impulse aus Roddys Kern. Sie erzeugt einen parallelen Strom, der exakt dem ersten entspricht, aber vom Fluss selbst nicht registriert wird (wie sie hofft). Sie hat bei der Erstellung ihrer Ich-Versionen ausreichend Erfahrung damit gesammelt, obwohl diese Aufgabe ganz anders und außergewöhnlich schwierig ist. Es ist ihr praktisch nicht möglich, Roddys parallelen Fluss vollständig zu antizipieren oder interpolieren. Dazu ist er in sich zu überraschend und unvorhersagbar.
Als der Datenstrom stärker wird und innerhalb von Tausendstelsekunden ihre parallele Version expandiert, hat Jill das Gefühl, auf einem riesigen schlammigen Fluss dahinzutreiben. Nur wenige Bestandteile des Flusses haben einen direkten Zusammenhang; die Knoten scheinen auf unmögliche Weise fragmentiert und dissoziiert zu sein. Dennoch ist es ein Fluss, der offenbar sehr effizient nach Antworten sucht und in gewaltigen Wissensvorräten die Lösungen findet.
Trotzdem hat sie immer noch keine Ahnung, was Roddy eigentlich bezweckt. Ihre menschlichen Programmierer haben zu ihr gesagt, dass die Verfolgung und Ergründung der Prozesse und Flüsse eines leistungsfähigen Denkers mit dem Versuch vergleichbar ist, den Wasserstrahl aus einem Feuerwehrschlauch zu schlucken. Doch hier geht es eher darum, den Amazonas in sich aufzunehmen. Ein gewaltiger, langsamer und schlammiger Strom mit unverständlichen Wirbeln…
Plötzlich verknotet sich
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