Slant
Psynthe-Labor, Sir«, erklärt die Frau ihrem Vorgesetzten. »Das schlimmste, das ich je gesehen habe. Wir haben es vereist und einen Mann festgenommen. Anscheinend hat der Hausmeister dieser Etage den Leuten erlaubt, das Gebäude zu benutzen.«
Nussbaum schüttelt den Kopf. »Ich dachte, eine Therapie hätte den Zweck, uns zu reinigen.« Er sieht Mary konzentriert und abschätzend an, bevor er fragt: »Bereit?«
Mary senkt den Kopf und wirft der Frau einen Blick zu. Ihr Name ist Francey Loach, und sie ist eine Full Second, die auf die Vierzig zugeht. Sie warnt Mary, indem sie die Lippen schürzt und die Augenbrauen hebt, vor dem, was sie im Innern erwartet.
Der Mann heißt Stanley Broom. Er ist nervös. Wahrscheinlich gibt es da drinnen gar nichts Aufregendes. Meine Kollegen werden mich vermutlich auslachen, wenn ich ihnen davon erzähle.
Aber Mary weiß, dass die Angelegenheit kein Witz ist. Wenn ein Haus vereist wird, muss es um sehr schwarzen Staub gehen.
»Bringen wir es hinter uns«, sagt Nussbaum. In der gemauerten Eingangsnische des großen Hauses hat man ein tragbares schwarz-silbernes Zelt aufgestellt. Nussbaum schlägt die Zeltklappe zur Seite und geht hinein; Mary folgt ihm. Obwohl die von einem kleinen Arbeiter bewachte Vordertür verschlossen ist, spürt sie die tiefe Kälte, die im Innern herrscht.
Sie legen silberne Anzüge an, schließen die Nähte und Säume, und Nussbaum berührt den Arbeiter mit der Hand. Die kleine Maschine bestätigt seine Identität und öffnet die Tür. Eiskalte Luft schlägt ihnen entgegen. Drinnen steht ein zweites Zelt, und dahinter ist der kälteste Teil des Hauses, von milchigen Planen umschlossen. Ihre Anzüge heizen sich sofort auf. Sie drängen sich durch den nächsten Zelteingang.
Bislang wurden noch keine Spinnen zur Überwachung an der Decke angebracht. Eine Spur aus winzigen Lichtern führt sie über den Teppich, damit sie keine wichtigen Beweise zerstören. Die Stiefel der Anzüge sind antistatisch und nicht adhäsiv; sie üben Druck auf den vereisten Boden aus, aber nicht mehr.
Mary blickt sich im Foyer um. Verglichen mit ihrer Wohnung ist das hier eine Kathedrale der protzigen Neunziger.
»Fünfhundert Quadratmeter, dreizehn Zimmer, vier Bäder«, betet Nussbaum herunter, als wollte er den Göttern des Hauses Ehrfurcht erweisen. »Für eine Familie und gelegentliche Gäste. Erzählen Sie es nicht weiter, Choy, aber ich bin von Natur aus ein Zeitarbeiter. Lieber leichte Arbeit für ein stattliches Gehalt als Leichen bearbeiten für ein staatliches.«
Mary sieht ihn mit gerunzelter Stirn an. »Aber den Beschuldigten gehört das Haus doch gar nicht. Sie haben es nicht einmal gemietet. Es ist eine illegale Hausbesetzung mit Wissen des Hausmeisters.«
»Das wird zumindest behauptet. Kein Verkehr in dieser Gegend, alles ruhig und gut geschützt – hier konnten sie machen, was sie wollten.«
Vom Foyer geht es in den großen Speisesaal, der von Galerien gesäumt wird, hoch über dem gewaltigen, mit Raureif überzogenen Eichentisch in der Mitte. Echtes Holz und vermutlich nicht einmal von einer Plantage. Links führt ein Gang zu den Zimmern im ersten Stock, darunter ein Unterhaltungs- und Datenfluss-Zentrum und das Hauptschlafzimmer. Rechts die Küche, das Arbeiter-Lager und dahinter mit eigener Verglasung ein dreistöckiger Wintergarten.
»Ganz schön opulent«, sagt Mary. Hinter einer Wand am Ende des Speisesaals führen eine Treppe und ein Lift zu den Obergeschossen.
»Ops«, murmelt Nussbaum. Er steigt vor ihr die Stufen hinauf.
»Sie meinen eine Operationszentrale, Sir?«
»Ops, die Göttin des Reichtums. Der üppigen Opulenz.«
Die Lichter weisen ihnen den Weg. Dann öffnet sich eine weitere Suite, und hier ist es, wo…
Mary bleibt stehen, während ihre Augen zögern, die Szene ganz in sich aufzunehmen…
Hier sind die Leichen. Sie erinnert sich an die zerstückelten Leichen der Opfer Emanuel Goldsmiths in einem Comb-Apartment in LA, genauso vereist wie diese, aber zumindest…
Nussbaum berührt ihren Arm, den Stoff des Anzugs…
… waren sie menschlich, selbst in all der Unordnung.
Ihr am nächsten, wo sich eigentlich das Fußende eines Bettes befinden sollte, wo nun vier Chirurgentische stehen, flankiert von erstarrten Arbeiter-Chirurgen, liegt das, was einmal – sie kann nur mutmaßen – eine Frau gewesen sein muss. Jetzt ist sie eine Hieronymus-Bosch-Collage, mit Wespentaille und Diana-Brustkorb, mit Vaginen an jedem Schenkel und
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