Slant
Schwielen, die niemals versagen, auf denen man stundenlang stehen kann. Aber meine Verwandtschaft hätte kein Verständnis dafür.«
»Christlich?«, fragt Mary gleichmütig.
»Alter Nordwesten. Alles ehemalige Holzfäller und Farmer.«
»Ich habe meine Füße behalten«, bestätigt Mary. »Ich mache hauptsächlich das Gesicht und die Hautfarbe rückgängig. Alles übrige… gefällt mir eigentlich ganz gut.«
»Wer behandelt Sie?«
»Ich stehe mit einem Arzt in LA in Verbindung«, sagt Mary. »Aber wir haben jetzt genug über mich geredet. Warum sollte diese Sache, was immer es ist, auf meinem Gebiet liegen?«
Nussbaum drückt mit einem dicken, trockenen, meisterhaft manikürten Finger auf die Liftkontrolle, worauf die Kabine langsamer wird und anhält. »Choy, ich bin kein bigotter Eiferer. Aber ich befürworte auch nicht alles, was heutzutage geschieht. Sie haben das alles jedoch schon durchgemacht. Ich nie. Was wir sehen werden, ist für mich nur schwer zu ertragen und noch schwerer zu verstehen.«
Sie steigen auf einer Wohnebene aus, von der aus sich ein gewaltiger Teil der Eastside, die Weiten des Corridors, die Cascades und selbst der östliche Teil Washingtons überblicken lässt. Eine mächtige gewölbte Wand aus Panzerglas hält die kalten Luftströmungen in dieser Höhe ab, und unsichtbare Heizelemente sorgen für frühlingshafte Temperaturen. Die gläserne Wölbung trägt das zurückgesetzte Dach dieses Stockwerks – so etwas Gewagtes hat Mary bislang noch in keinem Tower oder Comb gesehen.
Eine Straße mit imitiertem schwarzem Asphalt und gepflasterten Gehwegen führt vom Rand eines kleinen grasbewachsenen Parks durch einen Wohnblock. Vor den großen Familienhäusern im Holzrahmen-Stil sind Rasen mit echten Bäumen angelegt. Die Architektur nach dem Vorbild von John Buchan ist an die späten Neunzehnhundertachtziger und -neunziger angelehnt, die von manchen als die Deprimierenden Dekaden bezeichnet werden. Das muss Unsummen verschlungen haben. Die altertümliche Rekonstruktion einer idyllischen Stadtrandsiedlung jener Zeit steht im surrealen Kontrast zum Hintergrund des Fernsichtpanoramas.
»Haben Sie mal von Disneyland gehört?«, fragt Nussbaum.
»Ich bin etwa zwanzig Kilometer von der Stelle entfernt aufgewachsen, wo es früher lag.«
»Das hier ist Disneyland für die reichen Leute, finden Sie nicht auch?«
Mary nickt. Sie hat noch nie etwas für Protzigkeit übrig gehabt, sich nie in der High-Comb-Kultur wohlgefühlt, und ist sich ziemlich sicher, dass es Nussbaum genauso geht.
»Wissen Sie, bei uns ist die Südküste der Inbegriff für schlechten Geschmack«, sagt Nussbaum. »Aber auch wir können in dieser Hinsicht Großes leisten.«
Mary sieht weder Fußgänger noch Lieferanten- oder Arbeiterfahrzeuge auf der Haupt- und den Nebenstraßen, die bis zur tragenden Wand des Towers hinter dieser Bilderbuchvorstadt reichen. Doch hundert Meter entfernt beobachtet sie zwei stadteigene Arbeiter und einen Mann sowie eine Frau in PD-Grau, die vor einem dreistöckigen Haus stehen, dessen Mansardendach fast bis zum gewölbten Glashimmel heranreicht.
Mary betrachtet die Fenster der Häuser, an denen sie vorbeikommen. Sie sind erleuchtet und mit Gardinen verhängt, wirken aber auf unheimliche Weise unbewohnt. »Sie sind alle leer«, sagt sie.
»Lotteriegewinne für Firmenangestellte«, erklärt Nussbaum. »Die Belohnung für die Besten.«
»Wann wird die Lotterie veranstaltet?«
»Der Vize von Metro hat das Spiel abgesagt, nachdem einige Manager der unteren Ebene Manipulationen zugegeben haben. Jeder von ihnen hat eine halbe Million von jedem Lotteriegewinner bekommen. Insgesamt fünfzig Millionen. Die ganze Gegend ist in Verruf geraten. Sie sollten in Zukunft auf Metro-Vids verzichten.«
»Ich habe mich ohnehin darauf konzentriert, meinen Geschmack zu verbessern«, sagt Mary.
»Es ist alles alter schwarzer Staub«, sagt Nussbaum. »Normalerweise kommt so etwas bei uns gar nicht so häufig vor. Wie sieht es in LA aus?«
»Hatten wir schon lange nicht mehr«, entgegnet Mary. »Frischer Staub ist die Spezialität der Südküste.«
»Ja«, sagt Nussbaum. »Dort leben die Trendsetter.« Sie nähern sich den PD-Beamten und den Arbeitern.
»Guten Tag, First Nussbaum«, sagt die Frau und begrüßt Mary mit einem Nicken. Die Gesichter der PDs sind ernst. Mary spürt, wie es ihr eiskalt über den Rücken läuft. Sie fühlt sich in dieser befremdlichen Umgebung unwohl.
»Ein illegales
Weitere Kostenlose Bücher