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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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und Räume der Ostflanke des Turmes an der Zweihundertmetermarke. Sie verlässt den Wendellift und mustert ihr Spiegelbild auf einer polierten Porphyr-Säule. Durch die Krümmung der Fläche wirkt Mary noch größer und schlanker, als sie tatsächlich ist, aber ihre Kleidung hat sich nicht in Unordnung gebracht, sondern ist unzerknittert und passgenau.
    Sie will gerade den PD-Komplex betreten, als sich ihre Nackenhaare sträuben und sie sich zu einem Mann umdreht, der wenige Schritte hinter ihr geht. Offenbar macht sie einen überraschten und erschrockenen Eindruck, denn der Full First Ernie Nussbaum, der Chefermittler ihrer Abteilung, weicht sofort zurück und hebt entschuldigend die Hände.
    »Tut mir Leid, Choy!«, sagt er, während sie sich ein Stück von ihm entfernt.
    Mary schüttelt den Kopf und zwingt sich zu einem Lächeln. »Ich muss mich entschuldigen. Sie haben mich überrascht.«
    »Es war nicht meine Absicht, Ihre Privatsphäre zu verletzen.«
    »Ich war in Gedanken«, sagt Mary. »Was kann ich für Sie tun, Sir?«
    »Ich bin auf einem Jiltz und dachte, dass Sie mir vielleicht helfen könnten. Es ist nicht weit von hier.«
    »Ich habe einen Termin«, sagt sie und deutet auf den lichtdurchlässigen Eingang des Stadtverwaltung.
    »Ich habe den Termin verschoben. Ich hatte gehofft, sie hier anzutreffen… draußen.«
    »Ein aktiver Jiltz, Sir? Ich dachte, ich hätte noch gar nicht die nötige Zuverlässigkeitseinstufung erreicht.«
    »Sie haben im Laufe Ihrer Karriere schon zu viele Jiltze durchgeführt, als dass man Sie länger im Regen stehen lassen könnte. LA ist eine harte Stadt.«
    »Danke«, sagt Mary. Plötzlich fühlt sie sich wesentlich selbstsicherer. Nussbaum ist alles andere als ein Weichling, und doch hat er sie für eine dienstliche Ermittlung auserwählt.
    Sie begleitet Nussbaum und wirft ihm einen Seitenblick zu. Er ist nicht groß, eher gedrungen und kräftig mit einem vollen Hals und feinen Locken dunkelblonden Haars. Die Augen sind sein ansprechendstes Merkmal, sympathisch braun und empfindsam, doch sein Mund ist gerade und breit und auf komische Weise ernst, wie bei Buster Keaton. Diese Kombination ist auffällig genug, um ihn attraktiv zu machen. In LA, denkt Mary, wäre er eine Sensation – zwischen all den Transformierten und Regenerierten würde er mit seiner selbstbewussten Natürlichkeit Aufsehen erregen.
    Sie biegen ab und gehen in östlicher Richtung weiter, durch Menschenmengen, die vom Mittagessen zurückkommen. Angestellte der Stadtverwaltung und lokaler Firmenbüros auf diesen Stockwerken mischen sich in den kleinen Restaurants und verlangsamen Nussbaums zielstrebiges Tempo. Doch es scheint ihn nicht zu beunruhigen; offenbar ist er nicht in Eile.
    Mary checkt ihre Haltung, ihre heutige Abweichung von Statusbewusstsein (eine schlaflose Nacht überzeugt sie, dass hier möglicherweise ein Defizit vorliegt) und Lockerheit. Sie wünscht sich, dass sie die Gelegenheit zur besseren Vorbereitung hätte, ein paar Übungen zum Aufwärmen und zur Konzentration von Geist und Körper.
    »Es ist kein angenehmer Fall«, sagt Nussbaum. »Im Corridor erleben wir so etwas nicht häufig, aber es kommt vor. Ich hatte mir gedacht, dass gerade Sie über ein gutes Hintergrundwissen verfügen dürften. Die Sache liegt sozusagen auf Ihrem Spezialgebiet.«
    Sie halten vor einem Röhrenlift an. Mary kennt diesen Teil des Towers gut genug, um zu erkennen, dass der Lift sie zum Wohnkomplex ganz oben bringen wird, zwischen fünf- und siebenhundert Meter über dem Meeresspiegel.
    »Wie ist es, sich aus dem Dasein als Transformierte zurückzuziehen?«, fragt er, als sich der Liftvorhang kräuselnd zur Seite schiebt.
    Sie treten in die Kabine, die rasch beschleunigt. »Kein großer Unterschied«, sagt sie. »Die Veränderung ist gar nicht so radikal. Weniger radikal als die diesjährigen Moden.«
    »Ich erinnere mich. Sehr würdevoll. Der feuchte Traum eines männlichen Public Defenders.«
    Mary reagiert mit einem schiefen Lächeln. »Ich wusste gar nicht, dass Männer in Ihrem Alter noch feuchte Träume haben, Sir.«
    Nussbaum verzieht das Gesicht. »Sie stehen wohl immer noch auf Ihren Polizisten-Füßen, wie?«
    Mary versteckt ihre leichte Verärgerung hinter gespieltem Entsetzen. »Sir, Sie bringen mich in Verlegenheit!«
    »Was soll ich sagen – ich mag Ihre Füße«, erwidert Nussbaum. »An manchen Tagen wünsche ich mir, solche Füße zu haben. Tolle Füße zum Gehen und Laufen, ohne Blasen oder

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