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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
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gegen den ich so lange angekämpft habe.
    Und ich wandere.
     
    Schwarzes Leder. Das Vibrieren eines laufenden Motors, das ich in den Beinen und bis hoch ins Rückgrat spüre. Ich rieche die unverkennbare Mischung von Benzin und Orangenshampoo.
    Scotch.
    Aber ich glaube nicht, dass ich
in
Scotch bin. Nein. Wer immer ich geworden bin, sitzt auf dem Beifahrersitz und reibt sich das Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger. Als ich begreife, dass das Mädchen einen Ohrring vermisst, muss ich nur zwei und zwei zusammenzählen. Amber. Der verdammte Ohrring, den ich auf der Toilette aufgehoben habe, muss durch die Jeans hindurch meinen Oberschenkel berührt haben.
    Als Amber den Kopf dreht, sehe ich, dass Scotch durch die Windschutzscheibe ins Nichts starrt. Er schaut kilometerweit ins Leere. Über kantige Dächer und kahle Bäume und leuchtende Straßenlaternen. Ich bin schon mal hier gewesen, am Lookout Peak. Mit Rollins, es war das einzige Mal, dass ich Pot geraucht habe. Es war das totale Klischee. Wir lagen auf der Motorhaube seines Wagens, schauten zu den Sternen empor und fragten uns, ob es irgendwo an diesem großen, sternenübersäten Himmel Leben gibt.
    »Du darfst es keinem erzählen«, sagt Scotch.
    Sie scheinen mitten im Gespräch zu sein.
    »Es war nur einmal. Wir haben verhütet«, fährt er fort. Er klingt verzweifelt, und ich bin mir sicher, dass es um die Schwangerschaft geht. »Vermutlich war es nicht mein Baby. Samantha sagt, sie habe Sophie nach der Schule mit Mr Golden im Auto gesehen. Wer weiß, mit wie vielen Typen sie geschlafen hat.«
    Dann endlich sagt Amber etwas. »Wann hast du das mit der Schwangerschaft erfahren?«
    »Letzte Woche. Bevor …« Er spricht nicht weiter, nimmt nur einen Schluck aus der Flasche, die zwischen seinen Knien klemmt.
    Frische Tränen fließen über Ambers Wangen. Ich frage mich, wie sie hier in Scotchs Auto auf dem Lookout Peak gelandet ist. Ist sie ihm nach der Beerdigung begegnet? Hat er sie gefragt, ob sie mit ihm herumfahren will? Ich vermute, sie waren wie zwei Kometen, die mit hoher Geschwindigkeit aufeinandergeprallt sind – Scotch war betrunken, und Amber brauchte jemanden, der ihr Gesellschaft leistet.
    »Meinst du, sie hat es deswegen getan?«, fragt Amber.
    Scotch schlägt mit der Hand aufs Lenkrad. »Ich weiß es nicht. Zuerst hat sie gesagt, sie wolle sich darum kümmern und irgendwohin gehen. Aber dann hat sie gesagt, sie könne es nicht durchziehen. Verdammt, sie hätte es einfach wegmachen lassen sollen.«
    Ich wünschte, ich könnte in sein Gehirn schlüpfen und seine Gedanken auseinandernehmen. Ist er in Panik geraten, als Sophie ihm von der Schwangerschaft erzählt hat? Hat er auf einer Abtreibung bestanden? Hat sie sich geweigert?
    Selbst wenn ich in Scotch wandern könnte, wäre ich nicht in der Lage, seine Gedanken zu lesen. So funktioniert das nicht. Ich würde die Welt lediglich aus seiner Perspektive betrachten, und das ist
keine
attraktive Aussicht.
    Amber verschränkt die Hände vor dem Bauch und wiegt sich hin und her.
    »Es hätte meine Pläne ruiniert, mein Footballstipendium. Es hätte mein Leben ruiniert.«
    Scotch trinkt noch einen Schluck aus der Flasche und schüttelt sich, als ihm die brennende Flüssigkeit durch die Kehle rinnt. Er beugt sich zu Amber und kuschelt sich an ihren Hals. Sie atmet aus, es ist eine Mischung aus Seufzen und Stöhnen. Als seine Hand in ihren Schoß wandert, begreife ich, worauf es hinausläuft. Die Erinnerungen kommen zurück, und statt auf dem engen Vordersitz eines Mustangs liege ich auf einer Bank in der Jungenumkleide. Als Scotch Amber berührt, wird mir schlecht, als würde ich genau das miterleben, was er in jener Nacht mit mir getan hat. Alles ist vollkommen verworren.
    Ambers Körper reagiert auf seine Zärtlichkeit, und sie beugt sich zu ihm. Ich sorge mich nicht länger um ihre Sicherheit, sondern um meinen Verstand. Wenn ich hierbleibe, während sie das tun, werde ich verrückt. Ich spüre, wie ich Amber langsam verlasse.
     
    Erleichterung überkommt mich, als ich mich in unserem Wohnzimmer wiederfinde. Mein Herz hämmert gegen die Rippen, und die Erinnerungen an den Schulball im letzten Jahr rasen durch meinen Kopf. Statt über die bevorstehende Apokalypse berichten sie jetzt über das Paarungsverhalten von Pavianen. Schaudernd schalte ich den Fernseher aus.
    Ich nehme zwei Stufen auf einmal, kann gar nicht schnell genug in mein Zimmer kommen. Kann gar nicht schnell genug an meine

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