Slide - Durch die Augen eines Mörders
ich doch lieber bleiben. Sam bringt mich nach Hause.« Sie dreht sich um, und mein Blick fällt auf Samantha Phillips, die mit ihrem Autoschlüssel spielt. Als sie mich sieht, wird ihr Gesicht ausdruckslos, und sie wendet sich ab.
»Willst du das wirklich?«
Sie nickt.
»Okay. Wir sehen uns dann zu Hause.«
Ich beobachte, wie sie zu den Cheerleaderinnen zurückkehrt. Es kommt mir seltsam vor – von all den Leuten, die sich heute von Sophie verabschiedet haben, weiß ich als Einzige, wie sie wirklich aus dieser Welt gegangen ist. Das Wissen liegt mir wie Blei im Magen.
Rollins drückt meine Schulter. »Komm, lass uns fahren.«
13. Kapitel
A ls Rollins mich nach Hause gefahren hat, bleibe ich noch lange auf der Schaukel auf der Veranda sitzen. Ich will nicht reingehen. Das Haus ist so leer. So still. Ich will nicht allein sein mit meiner Erinnerung an Sophies Tod. Ich will nicht riskieren, dass ich einschlafe und mich wieder ihren Vorwürfen aussetzen muss. Der Wind hält mich wach. Er und die Koffeintabletten.
Ich schütte mir noch einige in die Hand, stecke sie in den Mund und zermahle sie zu Pulver.
Eine Brise weht durch die große Eiche und holt noch mehr Blätter herunter. Unten an der Straße nehme ich eine Bewegung wahr. Ein großer Junge mit einem kobaltblauen Sweatshirt und blondem Haar fährt auf einem Skateboard auf mich zu. Beim Näherkommen erkenne ich Zane Huxley. Er schaut in meine Richtung. Mein Magen schlägt Purzelbaum.
Er hält vor unserem Haus, fängt das Skateboard geschickt mit der Hand auf und geht ein paar Schritte in Richtung Veranda. »Hey«, sagt er, und die Freude in seinem Gesicht ist nicht zu übersehen.
Ich nicke ihm zu und schlucke das Koffeinpulver. »Hey. Genießt du den freien Nachmittag?«
»Warst du bei der Trauerfeier?«
»Ja. Es war … unfassbar.« Mir fällt kein passenderes Wort für den Tod eines Teenagers ein. »Was machst du eigentlich hier?«
Ich komme mir blöd vor und würde die Frage am liebsten zurücknehmen. Sie klingt, als wollte ich ihn nicht hier haben, was ja gar nicht stimmt. Ich wünsche mir jemanden zum Reden. Jemanden, der Sophie nicht kannte, der nichts über mich und meine Narkolepsie und das ganze Durcheinander weiß.
Zum Glück lacht er einfach nur. »Ich freue mich auch, dich zu sehen. Wir wohnen in der Arbor Lane, am Ende der Straße.«
»Das blaue Haus mit dem Lattenzaun? Das stand ewig zum Verkauf …«
Zwischen uns hängt ein unbehagliches Schweigen. Ich möchte etwas Witziges oder Schlaues sagen, irgendetwas. Ich will nicht mehr allein mit meinen Gedanken sein.
Ein weiterer Windstoß fährt durch den Vorgarten, und mir wird kalt. Ich zittere.
»Möchtest du reinkommen? Ich könnte Kaffee machen oder so.«
»Gern. Ist kühl hier draußen.«
Ich stehe auf und mache die Tür auf. Er lehnt sein Skateboard gegen die Wand und folgt mir ins Haus. In der Küche nimmt er sich einen Hocker und stützt die Ellbogen auf die Theke. Ich nehme zwei Kaffeetassen aus dem Schrank – eine von der University of Iowa und eine mit der Aufschrift
Bester Papa der Welt
– und stelle sie zwischen uns. Er ist still, während ich Kaffee mache. Die Stille erinnert mich daran, wie ich in der Toilette des Beerdigungsinstitutes gesessen und Amber Zeit gegeben habe, um sich zu fassen.
Ich fülle die Tassen mit dampfender schwarzer Flüssigkeit. Im Kühlschrank entdecke ich eine Flasche fettarmer Milch. Ich gieße etwas in meine Tasse und löffle Zucker hinterher. Nachdem ich umgerührt habe, trinke ich einen Schluck.
Über den Rand meiner Tasse sehe ich, wie Zane Milch in seinen Kaffee gibt und mit dem Finger umrührt. Ich kann nicht fassen, dass er hier in meiner Küche sitzt. Fast könnte ich darüber den Mord vergessen. Fast.
Zane zwinkert mir zu. »Du siehst süß aus mit den Zöpfen.«
»Danke«, sage ich und lächle tapfer.
Seine Augen sind so tiefblau, dass ich mich in ihnen verlieren könnte.
Eine Stunde später liege ich auf der Couch, die Kaffeetasse in der Hand, während Zane nur wenige Zentimeter entfernt sitzt und träge seinen Kaffee schlürft. Ich kann sein Knie durch einen Riss in der Jeans erkennen. Die Haare auf seinem Bein sind zart und blond, genau wie die auf seinem Kopf. Ich kämpfe gegen den Drang, sie zu streicheln.
»Du hast also mal hier in Iowa City gewohnt?« Ich versuche, sexy und kehlig zu klingen, doch heraus kommt ein Quieken.
»Ja, ich bin hier geboren. Als ich noch klein war, sind wir nach Chicago gezogen,
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