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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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unter mir immer mehr nachgab. Endlich kam ich an einen Weg, den ich betreten durfte; er führte in eine dunkle Höhle aus Kiefernzweigen und braunen, vermodernden Farnen. Der Waldboden war durch die Bewirtschaftung und das fehlende Sonnenlicht ausgelaugt, so dass sich überall ein farnartiges Moos in der Farbe von Kunstrasen ausbreiten konnte, das von einer grellen künstlichen Schönheit war wie eine unbekannte Lebensform, die man auf dem Grund des Meeres findet. Der Kontrast zwischen den Baumreihen, die im schattigen Dunkel lagen, und dem leuchtend grünen Waldboden war faszinierend.
    Meiner Karte nach war ich beinahe auf dem Scheitel des South-Downs-Wanderwegs angelangt, von wo aus ich mich nach Westen in Richtung des mächtigen Harting Hill wenden würde, einem Aussichtspunkt, den ich ebenfalls noch nie besucht hatte. Der Pfad verwandelte sich in einen Reitweg, und bald entdeckte ich ein unauffälliges braunes Schild mit der Aufschrift: Fußweg. Es zeigte in drei Richtungen: hinauf zum South-Downs-Wanderweg, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war, und hinunter in den Wald, der hinter mir lag. Ein anderer Wanderer hielt inne, während ich zögerte. Als wir uns ansahen, spiegelte sich auf unseren Gesichtern seltsamerweise das Gleiche wider, wir fragten uns, ob wir uns bereits zu nahe gekommen waren und den anderen zur Kenntnis nehmen mussten oder ob wir uns noch weit genug voneinander entfernt befanden, um uns gegenseitig zu ignorieren. Es war der einzige andere Wanderer, dem ich an diesem Tag begegnet war, doch ich war in meine eigenen Gedanken versunken und nicht in der Stimmung für eine höfliche Konversation. Ich drehte mich um, und er ging vorbei. Der neue Pfad führte in Richtung des Worts »Ruine«, das ich eben auf der Karte entdeckt hatte. Ich war schon weit von zu Hause entfernt, allein im Wald, und hattees bereits bis zum Kamm der Downs geschafft, doch in diesem eigentlich triumphalen Moment wurde ich von heftigen Zweifeln ergriffen.
    Ich wusste, dass die Bäume zu meiner Linken hauptsächlich Kiefern waren, und hinter dem Pfad, der am Rand des Waldes entlanglief, konnte ich einige Buchen ausmachen, doch darüber hinaus hatte ich Schwierigkeiten, meine Umgebung zu deuten. Ich sah einige Vögel und hörte verschiedene Arten von Vogelgesang und Vogelrufen, aber zu meiner Schande kann ich Ihnen nicht sagen, um welche Arten es sich handelte oder was ihr Gesang bedeutete. Und ich bin auch nicht imstande, die jahreszeitlichen Veränderungen, die sich um mich herum ereigneten, detailliert im Stil der großen Naturschriftsteller wie Roger Deakin oder Chris Yates zu beschreiben. Als ich mich aufmachte, um die im Wald gelegene »Ruine« zu erreichen, wurde mir bewusst, dass die Landschaft wie eine Sprache war, deren Begriffe mir unbekannt waren. So wenig wusste ich über die verschiedenen Teile, aus denen sie sich zusammensetzte.
    Die engagierte und gelehrte Prosa, die Experten benutzen, um sich untereinander auszutauschen, finde ich zwar beeindruckend, aber gleichzeitig fühle ich mich auch immer etwas eingeschüchtert. Ist unsere beiläufige Naturbetrachtung so aussagekräftig, wie sie sein könnte? Können wir sie ausreichend würdigen, wenn wir nichts über die Vögel, Bäume, Gräser, wilden Blumen und Tiere wissen, aus denen sie besteht? Ich fühlte mich überfordert, weil mein Wissen so lückenhaft war. Hektisch fing ich an, Fotos von allem Möglichen zu machen, damit ich später nachschauen und detaillierte Beschreibungen davon liefern könnte, doch der Grund für meine Unwissenheit ist viel interessanter. Glücklicherweise kam mir später an diesem Abend Deakin zur Hilfe, der in seinen Notes from Walnut Tree Farm streng bemerkt:»In diesem Land herrscht der Irrglaube, dass die Experten alles besser können als die Amateure: Sie wissen mehr und machen alles richtig. Das Gegenteil ist der Fall.«
    Er meinte damit natürlich Politiker und nicht Gehirnchirurgen, doch ich teile seine Meinung. Die großen Naturexperten sollten uns dazu anregen, unsere eigene Umgebung zu entdecken, anstatt ihre Schriften als Ersatz zu benutzen. Während ich auf der Suche nach der Ruine tiefer in den Wald eindrang, kam mir etwas in den Sinn, das mich laut auflachen ließ, was die Stille des Waldes für einen Moment aufhob. Jahrelang hatte ich mich über den herablassenden Ton gewundert, in dem Morrissey in »Ask« von den Smiths singt: »Die Natur ist eine Sprache, kannst du nicht lesen?«, und plötzlich wusste ich

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