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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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spuckend auf seinen Lauf. Als ich die Längsseite des Gehöfts erreichte, führte mich der Pfad an einigen riesigen Kalkbergenentlang, auf denen sich einige Spaziergänger niedergelassen hatten, um den Sonnenuntergang zu betrachten. Ich schlängelte mich an ihnen vorbei und begann wieder aufzusteigen, legte die Hände auf meine Oberschenkel, während ich voranstapfte, und atmete schwer.
    Als ich endlich oben auf dem Harting Hill angelangt war, ließ ich mich erschöpft auf den Rücken fallen. Der Ausblick auf das Dorf South Harting unter mir, in dessen Richtung ich den ganzen Tag gewandert war, mit seinem grünen Kirchturm und dem Rauch, der aus den Schornsteinen einiger Häuser aufstieg, richtete mich wieder auf – allerdings nicht für lange. Glücklicherweise erregte kurz darauf ein kleines Gebäude meine Aufmerksamkeit, das ich auf einem Hügel zu meiner Linken ausmachen konnte. Es war ein Zierbau – eines der zahlreichen völlig zwecklosen Gebäude, die man in England auf dem Land finden kann und die häufig im 17. oder 18. Jahrhundert von einem reichen Adligen errichtet wurden, der gerade von seiner Kavalierstour zurückgekehrt war. Dieses heißt »Vandalian Tower« und wurde zur Feier des 21. Geburtstags von Sir Harry Featherstone erbaut, der wiederum Lady Hamiltons erste verbotene Eroberung aus ihrer Zeit als Milchmagd war. Der Turm war später ein Freudenhaus, dessen sturzbetrunkene Kunden in Schubkarren verfrachtet und von den konsternierten Dienern des nahe gelegenen Uppark House nach Hause geschafft werden mussten (in dem die Mutter von H. G. Wells als Hauswirtschafterin arbeitete und er als Kind lebte). Heute ist er nur noch zur Hälfte erhalten und steht eingezäunt inmitten der Kornfelder.
    Da ich mein Ziel beinahe erreicht hatte, ging ich schneller, sprang den Hügel hinunter und ignorierte dabei meine brennenden Füße, so sehr sehnte ich mich nach einem Glas Bier. Als die letzten Lichtstrahlen, die zwischen den Bäumendurchschimmerten, von der Dunkelheit verschluckt worden waren, erreichte ich schließlich die Straße, die das Dorf mit meiner Heimatstadt verband; das schmale Band, das ich aberhundert Male entlanggefahren war, und ich schämte mich dafür, dass ich mir nie die Zeit genommen hatte, all das zu entdecken, von dem ich seit heute wusste, dass es existierte. Ich blieb eine Weile stehen, bis das wilde Pochen meines Herzens nachließ. Eine Straße. In meiner Vorstellung war sie schon seit langem ein unbestrittenes Symbol für Reisen, Abenteuer und Flucht, aber in Wirklichkeit ist es eine lausige Metapher. Eine Straße ist ein Tunnel, der einen an lineare Orte, lineare Begriffe und die lineare Zeit fesselt. Sie bietet Bequemlichkeit und Zweckmäßigkeit, aber verwehrt einem alles, was man lernen könnte, wenn man nur die Zeit und die Neugier hätte, sie zu verlassen.
    Mit letzter Kraft schleppte ich mich in die Stadt und sehnte mich nach einem Pub mit einem lodernden Feuer und einer zünftigen Wirtin. Das hatte ich mir verdient. Die Straßen waren unbeleuchtet, es war also ziemlich riskant, in völliger Dunkelheit auf der Hauptstraße entlangzulaufen. Der Pub, in den ich so gerne gegangen wäre, war geschlossen, doch weiter oben an der Straße gab es noch einen anderen, und ich konnte sehen, dass er offen war. Ich trat ein. Die Luft im Inneren war feucht und kühl, aus zwei Fernsehern schallten die Fußballergebnisse, und als ich hereinkam, wurde ich von sechs Männern mittleren Alters angestarrt. Der Wirt brachte es eben noch fertig, zur Begrüßung eine Augenbraue zu heben. Ich konnte es nicht über mich bringen, mich dort hinzusetzen, also murmelte ich irgendetwas und ging hinaus. Und dann begann es zu regnen.
    Lees erste Nacht endete ähnlich jämmerlich, all seine Erwartungen und seine Begeisterung kulminierten darin, dass er unter freiem Himmel in einem Kornfeld schlafen musste.Mitten in der Nacht wachte er auf, es regnete in Strömen, er wurde von Käfern gebissen und von einer Kuh besabbert, was ihn am meisten erschreckte. An dieser Stelle verließ ich meinen angenehmen Begleiter und war froh, dass ich ihm nur einen Tag lang gefolgt war. Der Novemberregen ließ mich frösteln, und ich machte einen Anruf. Eine halbe Stunde später waren meine Lieben da und riefen nach mir.

    Als wir nach Hause kamen, legte ich die Füße hoch, bestellte beim Lieferservice indisches Essen und trank eine Flasche Bier. Das Schöne daran, sein zu Hause mit einer gewissen Abenteuerlust zu betrachten,

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