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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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aufschnappte, waren weitaus alltäglicher. Eine der strickenden Damen rief: »Wenn mich noch jemand auffordertaufzustehen, bevor wir in Oban sind, ist er erledigt!«, nachdem der Mann neben ihr zu verstehen gegeben hatte, dass er sich woanders hinsetzen wollte. Um uns herum telefonierte man und brachte seine Bestürzung über das Verkehrschaos zum Ausdruck, und bald sah man auf der Straße verbeulte Autos, die in Gräben lagen oder gegen Bäume gefahren waren.
    Im Bus ist der Ausblick auf die Landschaft viel überwältigender als in einem Zug, weil man nirgendwo anders hinschauen kann. Wir waren schon hinter Dumbarton, und Glasgow war verschwunden. Einige Tage später sollten wir mit dem Nachtzug zurückfahren, und der rotorange Glanz der Stadt Greenock, die sich an der Mündung des Clyde entlangzieht, wirkte wie ein gewaltiger, unaufhaltsamer Lavastrom, der uns zurück in die Metropole – und in unser Alltagsleben – zog. Der morgendliche Anblick eindrucksvoller geologischer Formationen deutete nur an, was noch kommen sollte. Die Wolken waren grau und unerbittlich, und gegen neun Uhr hatte sich die Erde gerade genug gedreht, dass die Sonne sichtbar wurde, als wir die Längsseite von Loch Lomond umrundeten. Die Spitze des Ben Lomond war hinter den Wolken kaum erkennbar, aber man spürte bereits, dass in dieser bergigen Landschaft ein ganz anderer Geist herrschte.
    Diese ersten Gipfel erwiesen sich als Tore zu einer weiteren neuen Perspektive, doch erst als wir an der Busstation in Tyndale haltmachten, hatte unser Trip uns wirklich in seinen Bann gezogen. Die Kiefern und die steilen Berghänge waren schneebedeckt, und wir mussten durch einige matschige Pfützen waten, um den Laden und das Café zu erreichen. Ich hatte mein Handy an diesem Morgen ganz vergessen, also checkte ich meine E-Mails und meinen Twitter-Account, um zu sehen, wie die Feier noch verlaufen war, nachdem wir gegangen waren. Ich hatte einigeNachrichten, die verrieten, dass unserer Trip zu den Adlern als beschwipster Jux aufgefasst worden war. Von anderer Seite gab es neugierige Fragen, wie die Zugreise verlaufen war. Außerdem gab es einige Anrufe in Abwesenheit und Mailboxnachrichten von unbekannten Nummern, doch ich brachte es nicht über mich, sie abzuhören. Ich versuchte, ein Foto der schneebedeckten Berge zu twittern, doch irgendwo auf dem Weg vom Bus zum Laden brach die Verbindung ab. Ich ging zurück, aber sie war weg. Handy, Twitter und E-Mail mussten eine Weile ohne mich auskommen.
    Als der Bus am Rand der mit Schnee gesprenkelten braunen Berglandschaft mit Wäldern und Buschwerk, den stillen Gewässern der Lochs und in der Ferne sichtbaren Wasserfällen entlangfuhr, schien alles von so makelloser Schönheit zu sein, dass es beinahe unheimlich war. Jede Kurve offenbarte die Spitze eines weiteren Bergs oder einen neuen, unberührten Ausblick. Das Wasser in einem der vielen Lochs, an denen wir vorbeifuhren, war so ruhig, dass es mir sogar durch das Fenster des wackelnden Busses hindurch gelang, ein Foto davon zu machen, wie exakt sich die schneebedeckten Geröllhalden in ihm spiegelten. Ein Stück weiter waren die Bäume so dicht mit Flechten bewachsen, dass ich dachte, sie wären belaubt. Ein hellgrüner, silbriger Bewuchs hatte sich über die Baumstämme und sogar über die dünnsten Äste ausgebreitet. Es sah aus, als hätte ein zerstreuter Riese sie ungeschickt in Glanzfolie eingepackt. All das trug zu dem Eindruck bei, dass hier etwas Seltsames im Gange war.
    Eine meiner Lieblingsreisegeschichten, die davon handelt, in welchem Verhältnis unsere Wünsche zu dem stehen, was wir in der wirklichen Welt erreichen können, ist ein wenig bekanntes Werk von Edgar Allan Poe und heißt Das Gut zu Arnheim . Sie wird meist als etwas eigenartige Hommage an die Landschaftsgärtnerei abgetan, doch Poes letzteGeschichte, Landors Landhaus , gilt als Gegenstück zu Das Gut zu Arnheim , was mich immer fasziniert hat. Wenn das Letzte, was Poe jemals geschrieben hat, sich auf Arnheim bezog, dann wird diese Geschichte für ihn von besonderer Bedeutung gewesen sein. Sie handelt von einem Mann namens Ellison, der eine nahezu unvorstellbar große Geldsumme erbt, aber nicht wie die meisten Reichen politische Macht anstrebt, die er für belanglos hält, sondern einen außergewöhnlichen Plan ersinnt, um es auszugeben. Er ist besessen von der Idee, dass die menschliche Vorstellungskraft immer über die Wirklichkeit triumphieren wird, wenn es um die Darstellung

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