Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
beschäftigt mit der Feier. Wann kommst du an?«
Kev unterdrückte ein Lachen. »Ich bin im Zug und etwa in einer Stunde in Paddington, aber das Wetter in Schott-land …« Er hielt inne. »In den Nachrichten haben sie gesagt, es sei der schlimmste Sturm, der jemals aufgezeichnet wurde. Die Windgeschwindigkeit liegt bei 265 km/h, was einem Orkan der Kategorie 5 entspricht. Sie haben eine Unwetterwarnung herausgegeben und empfohlen, alle Reisen zu stornieren.«
»Ach« war alles, was ich herausbrachte.
Er lachte noch etwas mehr. » Und in Oban und Mull gibt es keinen Strom, und die Fähren fallen aus. Schätzungsweise haben über 60 000 Menschen nördlich von Glasgow keinen Strom.«
Überrascht, aber nicht sonderlich beeindruckt fragte ich, ob der Schlafwagen trotzdem von London abfahren würde.
»Ja, anscheinend schon. Bis nach Glasgow sollten wir noch kommen.«
Eine Stunde später trafen wir uns in einem Pub in Soho, und bald amüsierten wir uns über unser lächerliches Vorhaben, aber keiner von uns dachte daran, den Trip abzublasen. Kev und ich hatten uns vor über 20 Jahren in der Schule kennengelernt. Es war eine Freundschaft, wie man sie nur in einem Alter schließen kann, in dem man hauptsächlich durch seine Träume, die Musik, die man hört, und die Mädchen, die man unbedingt küssen will, geprägt wird. Wie es im Leben so geht, sahen wir uns nur noch selten, nachdem Kinder und Verpflichtungen dazugekommen waren, doch wenn wir uns trafen, warfen wir uns nie gegenseitig vor, dass es in der Zwischenzeit keine Anrufe, E-Mails oder Geburtstagskarten gegeben hatte. Unsere Freundschaft spielte sich auf einer fundamentaleren Ebene ab.
Wir gingen auf die Feier, die herrlich surreal war – eine Mischung aus Popstars aus den Achtzigern und den Buchhaltern, Anwälten und Bauunternehmern, zu denen ihre Zeitgenossen inzwischen geworden waren. Die Ankündigung, dass wir heute noch aufbrechen würden, um Adler zu beobachten, wurde mit aufgerissenen Augen und der spontanen Bitte, doch mitkommen zu dürfen, begrüßt. Einige Stunden später machten wir uns vom Alkohol auf leeren Magen befeuert auf die Suche nach einem Taxi, das uns zu unseren Betten und zum nächsten Abschnitt unserer Reise im First-ScotRail-Schlafwagen von Euston nach Glasgow bringen würde.
Die Nachtzüge fahren jeden Tag, ausgenommen Samstag, direkt von London nach Glasgow, Edinburgh, Aberdeen, Inverness und Fort William. Wir würden Glasgow in etwa sieben Stunden erreichen. Vor einigen Jahren habe ich eine ähnliche Fahrt nach Inverness unternommen, um herauszufinden, ob man die Nordküste von Schottland mit öffentlichen Verkehrsmitteln abfahren kann. Es ist weitgehend möglich. Vom Bahnhof von Thurso kann man umsonst per Taxi nach John o’Groats und zurück fahren und dann den Postbus von Thurso bis hinauf nach Tongue nehmen. Der Postbus ist eigentlich ein Minibus, mit dem der Postbote seine Lieferungen ausfährt, und er nimmt einen für weniger als einen Fünfer mit. Die Postbusrouten verlaufen durch die gesamten Highlands und fungieren für Einheimische und Wanderer als unverzichtbares Bindeglied zwischen den abgelegenen Städten und Dörfern. Im Schlafwagen nach Inverness wacht man morgens auf, wenn der Zug sich gerade seinen Weg durch die Cairngorms bahnt, und das ist eine der besten Arten, den neuen Tag zu begrüßen, die ich jemals erlebt habe. Der schönste Teil unserer Reise die Westküste hinauf würde die Strecke von Glasgow nach Oban sein.Viele Leute fahren tagsüber nach Oban, nur um unterwegs die Landschaft zu genießen.
Es dauerte 20 hektische Minuten, bis wir auf der Shaftesbury Avenue ein Taxi fanden. Als wir endlich eins heranwinken konnten, hatten wir nur noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt des Zugs von Euston. Weil wir beide seit unserer Kindheit Fans von Der Herr der Ringe sind, witzelte Kev, dass wir dazu bestimmt seien, die Triumphe und Desaster von Frodo und Sam auf ihrer Reise durch Mordor nachzuerleben, und die Bar im Speisewagen würde unser Bruchtal sein.
Wir rannten wie verrückt und erreichten den Zug kurz vor der fahrplanmäßigen Abfahrtszeit, nur um zu erfahren, dass sich die Abfahrt um mindestens eine Stunde verzögern würde. Wir fanden einen Platz an der Bar im Speisewagen und machten uns freudig daran, die Wanderkarte Nr. 375 für Mull auszubreiten, die ich mitgebracht hatte. Es gab eine einzige Hauptstraße, die den größten Teil der Insel umrundete, und einige kleinere Wanderwege, die hier und
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