Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
da von ihr abzweigten, doch der Großteil der Insel erwies sich als unwegsam, sogar zu Fuß, weil er hauptsächlich aus Sumpf und Marschland bestand. Ich starrte aufgeregt auf die Karte, aber ich fand nichts, was sie für mich lebendig machte, außer meiner Fantasie. Kev betrachtete sie mit dem wissenden Lächeln, das ich schon so oft auf seinem Gesicht gesehen hatte. Nach ein paar Gläsern Deuchars-IPA-Bier kletterten wir kichernd in unsere Kojen und ließen uns auf die weichen, mit einer Daunendecke und dicken Wolldecken bestückten Betten fallen. Wenn man wie ich dazu gezwungen ist, mehrmals in der Woche zu pendeln, ist die Vorstellung, sich in einem Zug ins Bett zu legen und richtigen Schlaf zu finden, anstatt nur vor sich hin zu dämmern und dabei zu riskieren, seine Station zu verpassen, vielleicht der großartigste, trunkensteLuxus, den man sich vorstellen kann. Ich schlief sofort ein und träumte von Adlern.
Inzwischen tobte das Unwetter weiter über Schottland. Die Winde mit einer Geschwindigkeit von 265 km/h hatten die Cairngorms erreicht, und ein Windgenerator in Ayrshire war explodiert und hatte Feuer gefangen. Stadtzentren waren abgesperrt worden, um die Menschen von herabfallenden Trümmern zu schützen, und der wütende Sturm hatte einige Sattelschlepper umgekippt. Als unser Zug um acht Uhr morgens in Glasgow eintraf, waren alle Verbindungen in den Norden von Schottland gestrichen worden. Diese Information hatte uns noch nicht erreicht, als wir mit Verspätung am Bahnhof von Glasgow ankamen und verzweifelt nach einem Taxi suchten, das uns zu unserem Anschlusszug bringen würde, der um 8.21 Uhr von Glasgow Queen Street abfahren sollte. Die Bahnhofshalle war voller gestrandeter Reisender, die sich in unterschiedlichen Zuständen der Frustration befanden. Unsere einzige Hoffnung, doch noch nach Oban zu gelangen, war ein Bus, den die Bahn bereitstellen wollte, falls die Straßen befahrbar waren. Alle Reisenden nach Oban wurden in einem Wartesaal versammelt und umsonst mit Tee und Kaffee versorgt. Kev sah mittlerweile etwas grummelig aus. Obwohl er dazu bereit war, sich auf die Methode des langsamen Reisens einzulassen, wusste ich, dass ihm im Auto schlecht wird, wenn er nicht selbst am Steuer sitzt, und die Aussicht, drei Stunden in einem Bus zu verbringen, bereitete ihm offensichtlich Sorgen. Ich schlug vor, stattdessen am nächsten Flughafen ein Auto zu mieten, und seine Miene hellte sich für einen Moment auf.
»Nein, das kostet uns ein Vermögen, und wir können es nicht mit auf die Fähre nach Mull nehmen, dazu muss man vorher reservieren.« Er ging weg und kaufte mehrere Flaschen Wasser und Energydrinks, bevor er mir eröffnete, dasser auf unserer nächsten Reiseetappe kein besonders guter Begleiter sein würde. »Ich stehe das nur durch, ohne zu kotzen, wenn ich mich ans Fenster setze und versuche zu schlafen. Am besten sprichst du gar nicht mir mir.«
Kev litt vor sich hin, als wir aus der Stadt hinausfuhren, aber ich war begeistert, dass wir so bald in Unannehmlichkeiten geraten waren. Sie haben sicherlich schon einmal erlebt, dass die meisten Reisenden unvermeidlich von einem gewissen Kameradschaftsgeist ergriffen werden, sobald sich Schwierigkeiten einstellen. Manche Menschen können damit nicht umgehen und geraten in Panik, wenn die Situation außer Kontrolle gerät, doch die meisten fangen an, sich mit Fremden zu unterhalten und Witze zu machen, was nicht passieren würde, wenn alles nach Plan verliefe. Ich war etwas enttäuscht, dass ich mir die Landschaft nicht aus dem Panoramafenster eines Zuges würde anschauen können, doch ein kurzer Blick auf Google Maps zeigte mir, dass die Straße und die Bahnstrecke nahezu parallel verliefen. Außerdem hatte Kev darauf bestanden, direkt hinter der Treppe zur Toilette zu sitzen, wo das Fenster viel breiter als die anderen war.
Unter unseren Mitreisenden befanden sich zahlreiche Weihnachtseinkäufer; zwei Abenteurer von der Sorte, der man immer begegnet, wenn man unterwegs zu den entlegenen Ecken der Welt ist; beide hatten Rucksäcke, die weit über ihre Köpfe hinausragten und ihnen beinahe bis zu den Kniekehlen gingen; außerdem ein Pärchen, das etwas verloren wirkte, und eine Schar alter Damen, die mit nüchterner Entschlossenheit ihr Strickzeug auspackten. Auf Chatwins Reisen tauchen immer Präsidenten und Jungfrauen in Not auf, die ständig geistreiche Bemerkungen von sich geben, doch die Gespräche und Kommentare, die ich im Bus
Weitere Kostenlose Bücher