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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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romantisch, aber es erlaubte uns mehr Flexibilität bei der Wahl unseres Schlafplatzes. Dadurch, dass wir unseren Trip vernünftiger und strukturierter angingen, konnte uns die neue, langsame Herangehensweise noch mehr Kontraste zu unserem Alltagsleben aufzeigen, bis wir die richtige Balance zwischen beidem gefunden hatten.
    Es kam uns so vor, als würden wir tatsächlich das Land verändern, während wir es durchquerten. Unsere Anwesenheit begann auch die Sichtweise der Menschen zu beeinflussen, denen wir begegneten. Peter, der Besitzer der Bettenfabrik, hatte irgendwo auf seinem riesigen Gewerbehof einen elektrischen Gabelstapler, und er sagte, er würde mit uns kommen, wenn er nicht zu einer Hochzeit in Schottland eingeladen wäre. In Oxfordshire begegneten wir einem Milchwagen-Fan, der uns tatsächlich eine Weile begleitete. Wenn wir in unserem Milchwagen in einer neuen Stadt oder in einem Dorf auftauchten, fiel es den Menschen leichter, mit uns ins Gespräch zu kommen, als es normalerweise bei Fremden der Fall ist. Wir waren ein Ereignis, das die Menschen zusammenbrachte und das ihnen die Möglichkeit bot, sich über alle möglichen »verrückten« Ideen auszutauschen, von deren Verwirklichung sie schon immer geträumt hatten. Einige sagten uns, wie inspirierend sie uns fänden, was merkwürdigwar, weil wir im Grunde wussten, dass das Ganze eigentlich nur ein Jux war, doch es trug dazu bei, dass unser Trip nicht mehr nur »uns« gehörte.
    Damals glaubte ich, dass es sich lediglich um einen Moment handelte, in dem der Schleier des Zynismus gelüftet wurde, der die Menschen gewöhnlich umgibt, aber heute denke ich, dass wir ihnen zumindest kurzzeitig dabei halfen, ihr eigenes Leben in einem anderen Licht zu sehen. Wem das weit hergeholt erscheint, der soll es selbst versuchen. Wenige Stunden nach unserer Ankunft wurden Partys organisiert. Leute überholten uns in ihren Autos, hielten an, stiegen aus und liefen neben uns her, während wir die Straße hinunterzuckelten, sie gaben uns ihre Namen, Nummern und Adressen, für den Fall, dass wir durch ihre Stadt kämen und unsere Batterie aufladen müssten. Es kam so weit, dass wir Angebote für Strom, freie Übernachtungen und Verpflegung ablehnen mussten. Vielleicht eröffnet das langsame Reisen eine Sicht auf das Leben, die ansteckend ist und auf die Menschen um einen herum übergreift.
    Wir fuhren weiter nach Devon und Cornwall und übernachteten abwechselnd in den Häusern von Fremden, auf Campingplätzen und gelegentlich in einem Luxushotel. Mittlerweile waren wir selbstbewusst genug, um Menschen anzusprechen und sie aufzufordern, uns zu helfen. Nicht etwa unhöflich – uns war gerade aufgegangen, dass wir nicht die Einzigen waren, denen etwas geschenkt wurde, wenn uns jemand umsonst seinen Strom gab. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir uns mit Leuten unterhielten, die froh waren, ihre innersten Gefühle und ihre geheimen Hoffnungen und Vorstellungen offenbaren zu können. Es kam mir vor, als hätten wir eine ganz neue Lebensweise entdeckt, die ein Spiegel für die Träume anderer war.
    Im Rückblick ist die Mischung aus praktischenAnforderungen und Inspiration, die unser Milchwagen-Trip mit sich brachte, und die Begeisterung, die er bei anderen Menschen auslöste, ein ideales Beispiel für den Konflikt, der in der Arbeitsweise des Gehirns angelegt ist – der Widerstreit zwischen Ordnung und Offenheit gegenüber dem Unbekannten. Die These vom zweigeteilten Gehirn, die in den 1960er und 70er Jahren aufkam, besagte, dass eine Hälfte des Gehirns für die Vernunft, die andere für die Emotionen zuständig sei. Mittlerweile weiß man, dass dem nicht so ist – beide Hälften tragen auf unterschiedliche Weise zu allen Aspekten unserer Wahrnehmung bei. Es steht dennoch außer Frage, dass das Gehirn zweigeteilt ist. Beide Hemisphären werden an der Schädelbasis durch das Corpus callosum verbunden, das den Austausch zwischen ihnen ermöglicht. Neurowissenschaftler glauben heute, dass eine der Funktionen des Corpus callosum eigentlich darin besteht, die Verbindung zwischen den beiden Hemisphären zu blockieren , was nahelegt, dass hier ein Kampf stattfindet (mehr davon später). An der Vorderseite des menschlichen Gehirns finden sich die Frontallappen, der Teil, der für das bewusste Denken zuständig ist. Diese Lappen ermöglichen es uns, uns von der unmittelbaren Erfahrung zu distanzieren, nachzudenken und vorauszuplanen; hier entstehen Einfühlungsvermögen und

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