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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Maizena und einer Flasche Kirsch derselben Marke.
    »Gedankenübertragung«, lachte er, als er zu Rosemarie ins Wohnzimmer kam.
    »Was?«
    »Ich habe auch gefunden, es sei Fonduewetter.«
    »Wieso ›auch‹?«
    Langs Gedächtnis mochte nicht mehr auf der Höhe sein. Aber seine Reflexe, die Reflexe eines Mannes, der sein Leben lang gezwungen war, sich anzupassen, funktionierten noch einwandfrei.
    »Sag bloß, du hast keine Lust auf Fondue, ich habe nämlich eingekauft für drei.«
    »Natürlich habe ich Lust auf Fondue«, lächelte Rosemarie.
    »Eben, wenn das keine Gedankenübertragung ist.«
    Er ging zurück in die Küche und ließ eine Tüte Fonduemischung, eine Flasche Kirsch, ein Halbweißbrot und eine Schachtel Maizena im Abfall verschwinden.
    Obwohl es noch nie einen Menschen gegeben hatte, zu dem Konrad so uneingeschränktes Vertrauen besaß wie zu Rosemarie Haug, brachte er es nicht fertig, sie einzuweihen. Erstens wollte er sie nicht beunruhigen mit etwas, von dem er annahm, daß es wieder vorbeigehen würde. Und zweitens glichen die Symptome Anzeichen von Senilität. Ein Fünfundsechzigjähriger gesteht der dreizehn Jahre jüngeren Frau, die er bald heiraten will, nicht gerne ein, daß er unter beginnender Senilität leidet.
    Konrad Lang entwickelte Techniken, sein Problem zu kaschieren. Er skizzierte einen Lageplan des Hauses und der Geschäfte, in denen er normalerweise einkaufte. Er stellte eine Liste zusammen mit Namen, die er oft brauchte und die ihm eigentlich geläufig sein sollten. Er bewahrte in seinem Portemonnaie, seiner Brieftasche und seinem Schlüsseletui ihre gemeinsame Adresse auf. Und für den Fall, daß er sich im weiteren Umkreis verirrte, trug er einen Stadtplan bei sich, mit dessen Hilfe er sich als verirrter Tourist ausgeben konnte.
    Aber Ende November passierte etwas, mit dem Konrad nicht gerechnet hatte: Er fand nicht mehr aus dem Supermarkt hinaus. Er irrte durch die Regalreihen wie durch ein Labyrinth und konnte den Ausgang nicht finden. Es gab nichts, woran er sich orientieren konnte, nie kam er an eine Stelle, die aussah, als wäre er hier schon einmal gewesen. Dabei war es ein kleiner Supermarkt.
    Schließlich heftete er sich einer jungen Frau an die Fersen, deren Einkaufswagen beladen war mit Einkäufen und einem quengelnden Kind. Sie bemerkte bald, daß der ältere Herr ihr folgte – ging, wenn sie ging, und stehenblieb, wenn sie stehenblieb. Jedesmal, wenn sie einen mißtrauischen Blick über die Schulter warf, nahm Lang wahllos etwas aus einem Regal und legte es in seinen Wagen. Als er endlich glücklich an der Kasse angekommen war, räumte er erleichtert einer durch nichts zu erschütternden Kassiererin neben unverfänglichen Gemüsen und Fleischwaren eine Reihe seltsamer Produkte auf das Rollband. Das kompromittierendste: Kondome mit Himbeergeschmack.
    Manchmal litt Konrad Lang unter den Aussetzern. Vor allem darunter, daß er ihnen so hilflos ausgeliefert war. Manchmal hätte er sein Gehirn packen und ihm nachhelfen wollen, wie seinem Knie, das manchmal lotterte, oder seinem Kreuz, das manchmal schmerzte. Aber ein Leben, wie er es geführt hatte, war nur auszuhalten, wenn man von klein auf zu verdrängen gelernt hat.
    Deshalb ergriff er auch jetzt keine ernsteren Maßnahmen als den Kauf eines Ginkgo-Präparates, von dem er einmal gehört hatte, es verbessere die Gedächtnisleistung. »Gut für ältere Herren mit jüngeren Frauen«, scherzte er Rosemarie gegenüber, als sie ihn auf das Fläschchen ansprach, das sie bei seinen Klaviernoten fand, wo er es versteckt und vergessen hatte.
    Rosemarie lächelte etwas nachdenklich.
    Rosemarie Haug besaß aus ihrer ersten Ehe mit Robert Fries in Pontresina ein schönes altes Engadinerhaus. Sie hatte es, seit sie herausfand, daß es ihrem zweiten Mann als Liebesnest diente, nicht mehr benutzt und nach ihrer Scheidung vor sechs Jahren oft mit dem Gedanken gespielt, es zu verkaufen. Aber jetzt, mit Konrad Lang, hatte sie plötzlich wieder Lust, die Festtage dort zu verbringen. Es schien ihr, die Zeit und der Mann dafür seien gekommen.
    Sie reisten per Bahn, weil Konrad der Meinung war, daß so die Ferien schon auf der Reise anfingen. Rosemarie, die eigentlich lieber den Audi Quattro genommen hätte, der kaum benutzt in der Garage stand, bereute es bald, daß sie sich hatte überreden lassen. Konrad zeigte sich auf der Reise nämlich von einer Seite, die sie noch nie an ihm bemerkt hatte. Er war so nervös vor der Abreise, daß sie

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